Vor der Kulisse der niederösterreichischen Wachau ist am Freitag ein politisches Signal gesendet worden. Beim traditionsreichen Europa-Forum Wachau hielt Bundeskanzler Christian Stocker (ÖVP) eine Rede, in der er eindringlich auf die aktuellen geopolitischen Krisen reagierte und zugleich die Bedeutung Europas für Österreich betonte. Dabei zeigte sich der Kanzler entschlossen, aber auch überraschend emotional.
Gleich zu Beginn seiner Rede wandte sich Stocker mit ernsten Worten an die Öffentlichkeit: Die neuesten Entwicklungen im Nahen Osten, die in der Nacht bekannt geworden seien, seien "äußerst besorgniserregend", sagte der Kanzler. Die Situation sei "hochvolatil" und habe ein "großes Eskalationspotenzial". Stocker mahnte zu "äußerster Zurückhaltung und Besonnenheit".
Besonders im Fokus: das iranische Atomprogramm, das laut Stocker "Anlass zu enorm großer Sorge" gebe. Er forderte eindringlich eine Rückkehr zur Diplomatie und warnte vor einem atomaren Wettrüsten in der Region, das "unter allen Umständen verhindert werden" müsse. Österreich beobachte die Lage "rund um die Uhr", wie Stocker betonte: Das Außenministerium habe einen Krisenstab aktiviert, das Bundesheer sei über das Lagezentrum im BMLV involviert.
Der internationale Konflikt blieb jedoch nicht das einzige schwere Thema des Tages. Stocker erinnerte sichtlich bewegt an den Amoklauf vom 10. Juni, bei dem zehn Menschen in einem brutalen Gewaltakt ihr Leben verloren. Die Nation sei noch immer erschüttert, sagte der Kanzler, und betonte, wie viel ihm das Mitgefühl und die Solidarität aus ganz Europa bedeuten. "In Zeiten des schier unermesslichen Schmerzes war etwas sehr tröstend: die Solidarität aus ganz Europa."
In einem flammenden Plädoyer für die Europäische Union hob Stocker wiederum hervor, welch zentrale Rolle die Union für Österreich spielt – wirtschaftlich wie politisch. Zwei Drittel der österreichischen Exporte gingen in die EU, unzählige Arbeitsplätze seien vom europäischen Binnenmarkt abhängig.
"Ohne die EU wäre Österreich heute nicht der wohlhabende und erfolgreiche Staat, der es ist", sagte Stocker – eine Aussage, die im Saal spürbar Anklang fand. Zugleich betonte der Kanzler: Europa gebe Österreich Gewicht auf der Weltbühne. Als Teil der Union sei man ein Gestalter globaler Entwicklungen, nicht bloß Beobachter. "1994 haben wir uns ganz bewusst dafür entschieden, gemeinsam stark zu sein", sagte er mit Blick auf den EU-Beitritt Österreichs – ein emotionaler Rückgriff auf die europäische Erfolgsgeschichte des Landes.
Stocker zeichnete ein realistisches, aber nicht hoffnungsloses Bild Europas. Drei Bereiche benannte er als vordringliche Herausforderungen: die wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit, die Migrationsfrage und die Friedenssicherung.
Mit Blick auf die wirtschaftliche Entwicklung lobte der Kanzler ausdrücklich die Initiativen von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. Der Bürokratieabbau, die Stärkung des Kapitalmarktes und der Binnenmarktreformen seien wichtige Schritte, um Europa wettbewerbsfähig zu halten.
Gleichzeitig forderte Stocker ein selbstbewussteres Auftreten der EU auf der Weltbühne:
"Europa kann auf Augenhöhe mit allen Weltmächten agieren. 440 Millionen Konsumentinnen und Konsumenten sind eine Macht."
Besonders pointiert äußerte sich Stocker zur illegalen Migration, einem Thema, das er seit Monaten öffentlich ins Zentrum seiner Politik rückt. Fortschritte sieht er vor allem dank EU-Migrationskommissar Magnus Brunner, einem Österreicher, der die neue Rückkehrverordnung maßgeblich mitgestaltet habe. Stocker unterstrich seine Forderung nach einer klaren Null-Toleranz-Linie: "Unser Ziel ist klar: Die Zahl der illegalen Ankünfte muss auf null gebracht werden."
Dabei betonte er auch seine enge Zusammenarbeit mit Deutschland – insbesondere mit Kanzler Friedrich Merz – und mit Partnerstaaten wie Bulgarien. Gleichzeitig regte er eine neue Debatte über internationale Konventionen und eine "authentische Interpretation der EMRK" an. Dies sei, so Stocker, "kein Angriff auf die Gerichte", sondern ein notwendiger Diskurs in einem funktionierenden Rechtsstaat.
Auch zur Sicherheitslage in Europa bezog der Kanzler deutlich Stellung. Österreichs militärische Neutralität sei kein Freibrief für Gleichgültigkeit, sagte Stocker:
"Unsere Neutralität bedeutet niemals politische Neutralität. Niemals Gesinnungsneutralität. Niemals Gleichgültigkeit."
Er positionierte sich klar gegen einen naiven Umgang mit sicherheitspolitischen Risiken. Österreich, so der Kanzler, müsse zwischen Aggressor und Opfer unterscheiden können – ein klarer Bezug zur Rolle Russlands im Ukrainekrieg und zur aktuellen Lage in Moldau, der er ebenfalls Solidarität zusicherte.
Trotz aller Probleme fand Stocker versöhnliche, ja beinahe poetische Worte für den europäischen Weg. Er berief sich auf den Philosophen Karl Popper, für den Optimismus "eine Pflicht" war – und erklärte dies auch für sich selbst. "Europa ist Weltmeister in der Selbstkritik – wir sind aber deutlich stärker, als wir glauben." Mit dieser Feststellung wandte sich Stocker an alle Europäerinnen und Europäer.
Er sprach von "hervorragenden Universitäten", "innovativen Unternehmen" und "fleißigen Menschen". Europa und Österreich seien "noch immer die lebenswertesten Orte auf der Welt." Am Ende der Rede forderte der Kanzler dazu auf, die Vielfalt Europas als Stärke zu begreifen, aufeinander zuzugehen und einander zuzuhören. Nur so könne jenes Europa gestaltet werden, das die Menschen sich wünschen: eines, das schützt, sichert und Freiheit ermöglicht.