Die frühere Klimaschutzministerin Leonore Gewessler will neue Chefin der Grünen werden. Ende Juni wird sie sich beim Bundeskongress der Partei zur Wahl stellen – für die Nachfolge von Werner Kogler, der sich zurückzieht. Im "Heute"-Talk erklärt die 47-Jährige, die in der türkis-grünen Koalition unter anderem das Klimaticket realisierte, was aus ihrer Sicht in der aktuellen Regierung total falsch läuft, wie sie künftig Politik machen möchte und was sie bei den Grünen ändern möchte.
"Wir sind manchmal vielleicht ein kleines bisschen kompliziert", so Gewessler zu "Heute" (ganzes Interview im Video unten). Ihr gehe es darum, "dass unsere Konzepte nicht nur im Uni-Hörsaal funktionieren, sondern auch bei den Menschen im Wohnzimmer und am Wirtshaustisch". Deshalb tourt Gewessler ab Anfang Mai durch alle Bundesländer und lädt "Auf ein Bier mit Leonore" ein. Sie will den Menschen zuhören, erfahren, wassie sich von den Grünen erwarten. Nicht nur beim Klimaschutz, sondern in allen Bereichen von Sicherheits- bis Bildungspolitik.
„Wir müssen wieder besser werden.“Leonore GewesslerEx-Klimaministerin und designierte Grünen-Chefin
"Dieses Zuhören ist in den Zeiten der Regierungsarbeit, wo man in diesem Tunnel ist, schnell noch etwas umzusetzen, einfach zu kurz gekommen", sagt Gewessler. Und: "Wir müssen wieder besser werden."
Leonore Gewessler über:
"Angesichts der täglichen Nachrichten könnte einen wirklich die Mutlosigkeit überfallen. Putin auf der einen Seite, Trump auf der anderen, ein Karussell der Unsinnigkeiten. Aber meine feste Überzeugung ist: Wenn wir dafür sorgen wollen, dass es meine beiden Nichten und die Kinder, die heute auf die Welt kommen, genauso gut und vielleicht besser haben als wir, dann müssen wir anpacken. Eine gute Welt kommt nicht von allein. Die braucht Menschen, die hingreifen. Und so ist meine Entscheidung gereift, für die grüne Bundessprecherin zu kandidieren, weil ich davon überzeugt bin: Wir müssen die Krisen unserer Welt mutig anpacken und nicht den Kopf in den Sand stecken."
"Die Menschen in Österreich haben gesehen: Ich traue mich auch zu schwierigen Entscheidungen. Auf mich ist Verlass, auch wenn der Gegenwind mir mal schärfer ins Gesicht bläst. Ich stehe zu meinen Überzeugungen."
"Die Klimakrise ist sehr konkret – denken wir etwa an die dramatischen Bilder vom Hochwasser letztes Jahr auch in Wien, in Niederösterreich. Denken wir an vertrocknete oder vom Hagel zerstörte Ernten. Wir müssen Wege finden, welche die Menschen unterstützen, ihnen ermöglichen, Teil einer Lösung beim Klimaschutz zu sein. Das haben wir in der vorigen Regierung intensiv vorangetrieben – und jetzt streicht die neue Regierung den Menschen genau diese Unterstützung: wenn die Förderungen zum Heizungstausch nicht weitergeführt werden, E-Autos teurer und Verbrenner wieder billiger werden. Es wird beim Klimaschutz der Abrissbagger durchgefahren. Das ist ein Drama."
„Die Regierung spart auf Kosten der Jungen, statt für die Budgetkonsolidierung die wirklich großen Brocken anzugehen.“Leonore GewesslerEx-Klimaministerin und designierte Grünen-Chefin
"Dass das Gratis-Klimaticket für 18-Jährige gestrichen wird, ist der falsche Weg. Wir wollten jungen Menschen einmalig ermöglichen, mit dem Klimaticket unser Land zu entdecken – und so dafür zu sorgen, dass sie langfristig beim öffentlichen Verkehr bleiben. Genau das brauchen wir ja: Mehr Menschen, die mit den Öffis fahren – für den Klimaschutz, aber auch fürs eigene Wohlbefinden und die Verkehrssicherheit. Aber die Regierung spart jetzt auf Kosten der Jungen, statt für die Budgetkonsolidierung die wirklich großen Brocken anzugehen."
"Man sollte sich die klimaschädlichen Subventionen wie das Dieselprivileg anschauen. Wir subventionieren weiter italienische Frächter, die mit dem billigen Diesel durch unser Land fahren. Oder: Mit den Bundesländern gibt es in vielen Bereichen Doppelförderungen. Auch das sollte man sich anschauen. Stattdessen würgt man das zarte Pflänzchen der Konjunktur, das wir haben, ab. Zum Beispiel: Der Installateur, der sich jetzt darauf verlassen hat, dass der Heizkesseltausch in unserem Land stattfindet, hat deshalb vielleicht einen zweiten Lehrling eingestellt – das schafft Arbeitsplätze, Wertschöpfung, das Wachstum, das wir jetzt so dringend benötigen. Aber: Mit dem Streichen der Klimaförderungen spart die Regierung unserem Land die Zukunft weg."
„Wir subventionieren weiter italienische Frächter, die mit dem billigen Diesel durch unser Land fahren.“Leonore Gewesslerüber klimaschädliche Subventionen
"Wir haben immer gesagt, wir sind eine konstruktive Opposition. Wenn es gute Vorschläge gibt, die unser Land weiterbringen, sind wir immer gesprächsbereit. Aber wir werden den Finger auf die Wunde legen, wo Anliegen von dieser Bundesregierung nicht genügend berücksichtigt werden – sei es im Klima- und Naturschutz, aber auch bei sozialen Themen. Wir sparen jetzt ausgerechnet bei arbeitslosen Menschen, indem ihnen die Zuverdienstmöglichkeit gestrichen wird. Mit den paar Hundert Euro mehr würden sie sich leichter tun, ihr Kind zum Schulausflug mitzuschicken oder den Skikurs zu ermöglichen."
"Wir brauchen eine zeitgemäße Überwachung, wenn es darum geht, Terrorismus zu verhindern. Aber das darf nicht auf Kosten einer potenziellen Massenüberwachung für uns alle gehen. In dem Sinne werden wir uns das sehr genau anschauen. Das Spannende ist, dass man sich hier in der Regierung offensichtlich nicht ganz einig ist, die Neos haben ja Zweifel angemeldet. Deswegen frage ich mich, warum schauen wir nicht dorthin, wo wir uns alle einig sind und man schnell etwas tun könnte, nämlich zum Beispiel gegen Videos und Hassbotschaften auf Plattformen wie TikTok. Wir alle wollen keine Radikalisierung im Internet. Und auf EU-Ebene haben wir Instrumente, dagegen vorzugehen."
„Mit einer Straße mehr haben wir noch nie ein Verkehrsproblem gelöst.“Leonore Gewesslerüber den Lobau-Tunnel
"Das Naturschutzgebiet der Wienerinnen und Wiener, die Lobau, mit einer weiteren Transitschneise durch Europa zuzubetonieren, ist die schlechteste aller möglichen Alternativen. Die Wiener Grünen habe einen guten Plan dafür, wie man die Öffis hier ausbauen kann. Aber die Entscheidung liegt jetzt bei meinem Nachfolger im Ministerium, Peter Hanke. Er muss sagen: Gehen wir in die Zukunft und nicht zurück in die Betonvergangenheit. Mit einer Straße mehr haben wir noch nie ein Verkehrsproblem gelöst."