AMS-Boss Johannes Kopf

"Man müsste zu Geflüchteten sagen: Bitte bleibt da"

Sozialhilfe-Reform in Österreich: AMS-Chef Johannes Kopf schlägt neue Anreize vor und zeigt eine bedenkliche Entwicklung in allen Bundesländern auf.
Newsdesk Heute
01.10.2025, 20:46
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Vor 10 Jahren wurde Europa mit einer enormen Flüchtlingswelle konfrontiert. Die Nachwehen sind auf dem Alten Kontinent vielfach auch heute noch zu spüren. Bis heute gilt die Krise von 2015 als prägendes Ereignis, das auch Österreich nachhaltig verändert hat.

Ganz Europa diskutiert inzwischen über Sozialleistungen für Geflüchtete und Migranten. Auch hierzulande soll die Sozialhilfe reformiert werden. "Politisch gibt es bei uns den Wunsch, Geflüchtete anders zu behandeln, wogegen aber die Statusrichtlinie der EU steht", erklärt der Vorstand des Arbeitsmarktservice, Johannes Kopf, in einem Interview mit der "Presse".

Geringere Zahlungen gingen demnach nur, wenn die Kriterien Inländer einschließen. Also beispielsweise jene, die noch nie auf dem Arbeitsmarkt in Österreich waren. "Einfach ist das nicht, denn das würde z. B. auch die 18-jährige alleinerziehende Mutter treffen."

Die Idee, die Familienbeihilfe auf die Sozialhilfe anzurechnen, wischt Kopf vom Tisch: "Ob ich anrechne oder gleich für Kinder weniger zahle, macht keinen Unterschied." Die Grundfrage laute: Wie viel wollen wir Familien zahlen?

Dabei gebe es auch ein unlösbares Problem, betont er mit Blick auf die "Heute"-Enthüllung über einzelne Geflüchteten-Großfamilien, die in Wien mehrere Tausend Euro Sozialleistungen cashen: "Sogar wenn man maximal auf Arbeitsanreiz setzt, muss man kinderreichen Familien mehr geben, als der Papa, wenn er niedrig qualifiziert ist, verdienen kann", erklärt der AMS-Boss. "Zahlen wir weniger, ist es zu wenig, um davon zu leben."

Wie Sozialhilfebeiträge gesenkt werden könnten

Kopf hat schon länger drei eigene Vorschläge, wie weitere Arbeitsanreize gesetzt werden könnten, ohne jemandem etwas wegzunehmen:

Erstens. Die Sozialhilfe solle 16 Mal im Jahr ausgezahlt werden. Damit wären die einzelnen Beträge niedriger, was psychologisch als Arbeitsanreiz wirke. "Eine Art Nudging. Vier Zahlungen wären dann für außergewöhnliche Aufwände wie Winterjacken oder Schulstart." Aktuell würde die Sozialhilfe 12 Mal im Jahr ausbezahlt. Damit wirken die Monatsbeträge im Vergleich zu den 14 Löhnen der Arbeitenden höher.

Zweitens. Männer und Frauen sollen getrennt ausgezahlt werden, anstatt gesammelt als Haushaltseinheit. "Auch das senkt sozusagen die Beträge."

Drittens. Weil mehr Kinder auch mehr Platz brauchen, könnte der Kinderanteil der Sozialhilfe an die tatsächlich gezahlte Miete gekoppelt werden. "So könnte ein 'böser Papa' nicht ein kleines Zimmer mit vier Stockbetten für die Kinder haben und selbst ein schönes Auto fahren."

Hohe Sozialhilfe lockt Geflüchtete nach Wien

Die Reform der Sozialhilfe sei jedoch ein "unfassbar komplexes Projekt", das auch die Politik gerne zum Spielball eigener Interessen mache. Aufgrund enormer Differenzen zwischen den Parteien sieht Kopf eine "hohe Wahrscheinlichkeit, dass es hier nie eine Einigung geben" wird.

Gerade die angestrebte bundeseinheitliche Höhe sei eine enorme Hürde. "Für mich ist sie ein Muss. Aber es ist denkbar, dass sie trotzdem nicht kommt." Zwar seien alle Länder dafür, würden aber auf ihren eigenen Zugängen beharren.

„Sind Geflüchtete in Wien, ist der Fehler schon passiert.“
Johannes KopfAMS-Vorstand

Die hohe Sozialhilfe mache Wien derweil zum Mega-Magneten. 75 Prozent aller arbeitslosen, vorgemerkten Geflüchteten leben in der Bundeshauptstadt. Es sei deshalb kein Wunder, warum es so viele nach Wien ziehe. Die gleiche Familie mit Familienbeihilfe bekomme in Oberösterreich 2.000 Euro, in Wien jedoch das Doppelte. "Wenn ich [diese Beträge] gegenüberstelle, verstehe ich das."

"In Wahrheit ist das völlig absurd"

Das AMS alleine habe nicht die Kraft und Mittel da alleine entgegenzuwirken. Bei 32.000 arbeitslosen Geflüchteten in Wien seien auch viele dabei, die man auf dem Arbeitsmarkt brauchen könne. "Das Problem ist ein anderes: Sind sie in Wien, ist der Fehler schon passiert", mahnt Kopf: "Wir als AMS versuchen intensiv, Geflüchtete überregional zu vermitteln. Aber in Wahrheit ist das völlig absurd."

Die Betroffenen fliegen bei Anerkennung des Asylstatus aus den Unterkünften in den Ländern. Sie ziehen nach Wien, verfestigen sich, "und dann kommt das AMS und sagt: Es wäre super, wenn ihr nach Salzburg geht."

Bedenkliche Entwicklung in ganz Österreich

Bei einer Vereinheitlichung der Sozialhilfe würden die Zuzüge nach Wien deutlich geringer ausfallen, ist der AMS-Chef überzeugt – das wäre aber noch nicht die Lösung für das ganze Problem.

"Es ist ein Fehler, dass man sich nie auf eine Wohnsitzauflage für Geflüchtete geeinigt hat", sagt Kopf und verweist auf eine andere bedenkliche Bevölkerungsentwicklung. So werde Kärnten bis zum Jahr 2050 um 17 Prozent weniger Erwerbsbevölkerung zwischen 15 und 65 Jahren haben als heute. Diesen Trend gebe es in allen Bundesländern. Einzige Ausnahme: Wien.

"Man müsste in Kärnten, aber auch in der Steiermark und im Burgenland eigentlich zu den Geflüchteten sagen: Bitte bleibt da." Den derzeitigen Abschreckungswettbewerb in einen Behalte-Wettbewerb zu verwandeln, sei jedoch für die Politiker schwierig, "weil die Wähler froh sind, wenn die Geflüchteten nach Wien fahren".

Der Arbeitsmarkt-Experte glaubt, dass sich das lösen lasse, wenn man Geflüchtete wie 2016 in Vorarlberg auf alle Gemeinden verteilen würde, statt sie in großen Heimen unterzubringen. Die Erfahrung aus dem Ländle zeige: "Die Integration hat besonders gut funktioniert. Denn für die Bevölkerung in den jeweiligen Gemeinden waren diese Familien 'unsere Flüchtlinge'. [...] Hätte jede Kärntner Gemeinde eine Flüchtlingsfamilie, wäre mittelbar sowohl das Problem der Demografie als auch der Integration lösbar."

"Wir haben zu wenig Personal und zu wenig Geld"

In Sachen Spracherwerb unter arbeitslos gemeldeten Geflüchteten – bundesweit sind 45.000 ohne Job – sorgen Kopf vor allem die jungen Leute. "Wir haben zu wenig Personal und zu wenig Geld, um alle Geflüchteten so spezifisch zu unterstützen, wie es notwendig wäre". Das AMS diskutiere deshalb intern, ob man sich nicht am Beispiel der USA orientieren und auf die Jungen, bei denen die Lernfähigkeit noch höher ist, konzentrieren solle.

"Die Jugend-Colleges in Wien, für die es extra Budget gab, sind toll, aber es gibt nicht genug Plätze für alle Jugendlichen. Ein Fokus auf die Jungen bedeutet im Umkehrschluss: Für die Älteren gibt es zwar Vermittlung, aber weniger Deutschkurse, weniger."

Und wenn es wieder zu einer Flüchtlingskrise kommt?

Angesprochen darauf, welche Lehren man aus der Flüchtlingskrise gezogen wurden, erinnert Kopf an drei Fehler, die man keinesfalls wiederholen sollte:

  • "Die Asylverfahren haben zu Beginn zu lang gedauert."
  • "Türkis-Blau hat 2018 die Mittel für Integration zusammengestrichen."
  • "Und man konnte sich nicht auf eine Wohnsitzauflage einigen."

Hinter der enormen Verfahrensdauer ortet Kopf durchaus einen Eingriff seitens der damaligen Regierung: "Man die Verfahren wohl nicht absichtlich liegen lassen, sondern man hat die Ressourcen – ich würde sagen: politisch intendiert – nicht schnell genug aufgestockt."

{title && {title} } red, {title && {title} } Akt. 01.10.2025, 21:06, 01.10.2025, 20:46
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