Die Herausforderungen am Arbeitsmarkt kennt AMS-Chef Johannes Kopf wie kein anderer aus der täglichen Praxis. Seit 19 Jahren leitet der 52-Jährige das Arbeitsmarktservice, war von der Finanzkrise 2009 über die Flüchtlingswelle 2015 bis zur Corona-Kurzarbeit und der aktuellen Rezession mit vielen Extremsituationen für den Jobmarkt konfrontiert.
In seinem Büro in der AMS-Zentrale im 20. Wiener Bezirk hat er sein "Cockpit" – einen Screen mit den Arbeitsmarktdaten in Echtzeit: Wenn sich eine Person arbeitslos meldet, eine andere in einen Job vermittelt wird, Unternehmen offene Stellen einmelden – all das bekommt der AMS-Chef sofort mit: "Das ist wichtig, um zu sehen, dass der Arbeitsmarkt in Bewegung ist, dass auch in der Rezession ständig Menschen einen neuen Job finden", sagt Kopf zu "Heute".
Im großen Interview (ganzer Talk im Video unten) nimmt Kopf Stellung zur aktuellen Diskussion um Teilzeitarbeit und zu den tatsächlichen Chancen von Älteren am Arbeitsmarkt.
Johannes Kopf über:
"Das ist ein Thema, das aus zwei Komponenten heraus ein Problem ist. Das eine ist die Demografie – wir haben zunehmend mehr ältere Personen, der Anteil der Pensionisten an der Bevölkerung steigt massiv. Das zweite ist: Wir arbeiten im Durchschnitt alle weniger als früher. Und beides – mehr Pensionisten, weniger Arbeitsstunden – führt dazu, dass es bei der Finanzierung unseres Sozialsystems nicht mehr rund läuft. Das ist offenbar so relevant geworden, dass jetzt überlegt wird: Was kann der Staat tun, um Arbeitsverhalten zu ändern oder zu beeinflussen?"
"Wenn ich mir die beim AMS gemeldeten Stellen nach Beschäftigungsausmaß anschaue, so gibt es tatsächlich eine größere Nachfrage nach Teilzeitstellen, als wir im Angebot haben: Zwei Drittel der ausgeschriebenen Stellen sind Vollzeit, 15% explizit Teilzeit. Und der Rest – etwa ein Fünftel – ist offen für beides. Bei den Arbeitssuchenden wollen nicht ganz die Hälfte einen Vollzeit-Job, 22,6 % suchen explizit eine Teilzeit-Beschäftigung."
„Teilzeit funktioniert nur bei gut Qualifizierten – oder wenn’s eine Wohnung von der Oma gibt, Stichwort: Generation Erben.“Johannes KopfAMS-Chef
Teilzeit werde zwar weiterhin vor allem von Frauen in Anspruch genommen, aber, so Kopf: "Die aktuelle Arbeitszeitverkürzung ist vor allem eine männliche." Junge Väter würden sich heute anders verhalten als früher: "Das ist genau das, was wir alle wollten – dass sie sich mehr an der Kinderbetreuung beteiligen. Auch wenn’s manchmal nur der Papa-Monat ist, so wie ich’s gemacht habe." Gleichzeitig sieht der AMS-Chef einen neuen Teilzeit-Typus: "Hochqualifizierte junge Leute, die sagen: Ich will nur 30 Stunden arbeiten." Diese Gruppe wird aber seiner Meinung nach in der aktuellen Diskussion überbewertet: "Viele Menschen können von einem Teilzeitjob gar nicht leben. Teilzeit funktioniert nur bei gut Qualifizierten – oder wenn’s eine Wohnung von der Oma gibt, Stichwort: Generation Erben."
"Es gibt Anreize im System, die Teilzeit begünstigen. Zum Beispiel zahlt jemand mit 3.000 Euro brutto Vollzeit doppelt so viel Sozialversicherungsbeitrag für die Krankenkasse wie jemand mit 1.500 Euro im Teilzeitjob. Beide bekommen aber die gleiche Leistung. Jetzt könnte man sagen, das ist unfair. Aber: Wenn jemand halbtags arbeitet, weil es keine ausreichende Kinderbetreuung gibt, dann wäre es nicht fair, diese Person stärker zu belasten. Man müsste den Beitragssatz vielleicht am Stundenlohn bemessen, nicht am Monatseinkommen. Dafür bräuchten wir aber ordentliche Arbeitszeitmeldungen, und zwar laufende."
„Es ist nicht so, dass die Leute faul sind – aber wenn ich 10 oder 20 Stunden mehr arbeite und bekomme dafür nur ein Drittel mehr netto, dann überlege ich mir das.“Johannes KopfAMS-Chef
"Der Staat kann mit Anreizen das Verhalten steuern. In Zeiten, wo man Geld hat, kann man das mit Belohnen machen. In Zeiten mit weniger budgetärem Spielraum macht man anderes unattraktiver." Ganz ohne zu moralisieren, müsse man sich schon fragen, ob sich die Vollzeit ausreichend auszahlt, sagt Kopf: "Es ist nicht so, dass die Leute faul sind – aber wenn ich 10 oder 20 Stunden mehr arbeite und bekomme dafür nur ein Drittel mehr netto, dann überlege ich mir das."
"Wenn für eine arbeitslose Person eine 30-Stunden-Stelle zumutbar ist – etwa weil die Kinderbetreuung es ermöglicht – dann reicht der Wunsch, nur 20 Stunden arbeiten zu wollen, nicht aus, um die Stelle abzulehnen. Wer eine zumutbare Stelle ablehnt, verliert für sechs Wochen das Arbeitslosengeld. Aber: Wenn man dann innerhalb von vier Wochen eine andere Stelle annimmt, bekommt man das Geld rückwirkend wieder."
Die Regierung setzt Maßnahmen, dass wir länger arbeiten – das faktische soll sich dem gesetzlichen Pensionsantrittsalter (65) annähern. Aber kann das überhaupt funktionieren? Sind die Unternehmen bereit, Ältere zu beschäftigen und auch neu anzustellen? "Noch nicht genug", sagt Kopf ganz klar. Er spricht von einer "absurden Situation": "Mitarbeiter zwischen 50 und 55 sind in Betrieben hoch geschätzt – als Führungskräfte, Expertinnen, Mentoren für Jüngere. Aber wenn so jemand den Job verliert, tritt eine Art Instant-Aging-Effekt ein und plötzlich gilt die Person als alt, wird nicht mehr gerne eingestellt." Das fange schon ab 50 an.
„Mitarbeiter zwischen 50 und 55 sind in Betrieben hoch geschätzt. Aber wenn so jemand den Job verliert, tritt eine Art Instant-Aging-Effekt ein und plötzlich gilt die Person als alt, wird nicht mehr gerne eingestellt.“Johannes KopfAMS-Chef
Das AMS hat diesen Effekt mit einer Studie sichtbar gemacht: "Wir haben 800 Bewerbungen mit KI-generierten Lebensläufen verschickt – immer mit denselben Qualifikationen, nur einmal mit 32 Jahren, einmal mit 52." Das Ergebnis war deutlich, erklärt Kopf: "Immer wurde zuerst der bzw. die Jüngere angerufen. Oft sogar nur die jüngere Person." Und das, obwohl die Kollektivverträge in beiden getesteten Branchen (Handel und Elektroinstallation) hier keine Gehaltsunterschiede vorsahen. Kopf: "Da geht’s nicht um Kosten. Und nicht um absichtliche Altersdiskriminierung – meist sind die Firmenchefs ja selbst nicht mehr ganz jung. Es geht um Vorurteile – oft unbewusst."
Um gegenzusteuern, soll es ab 2026 eine gezielte Förderung für Unternehmen geben, die ältere Menschen einstellen. "Nicht nur das Halten, sondern auch die Einstellung soll unterstützt werden", kündigt Kopf an.
"Ich persönlich glaube, dass wir in Zukunft wohl länger arbeiten werden müssen. Aufgrund der steigenden Lebenserwartung und des steigenden Pensionsbezugs. Aber die Frau Arbeitsministerin war zuletzt sehr klar und hat gesagt: Sicher nicht in dieser Legislaturperiode. Das entscheidet ja die Politik, nicht ich."