Während du das hier liest, hast du wahrscheinlich schon mindestens einmal dein Gesicht berührt, ohne es zu bemerken. Denn Menschen berühren ihr Gesicht bis zu 800 Mal am Tag, wobei dies meist völlig unbewusst geschieht. Wissenschaftler haben nun herausgefunden, dass diese unbewussten Gesten – speziell, wenn die Hand zum unteren Teil des Gesichts greift – ein verlässliches Anzeichen für psychischen Stress während intensiver geistiger Arbeit sind.
Ein Forschungsteam der University of Houston und der Virginia Tech analysierte fast 170 Stunden Videoaufnahmen von 10 Wissenschaftlern, die vier Tage lang in ihren Büros arbeiteten. Mithilfe künstlicher Intelligenz, die jede Berührung des Gesichts verfolgte, und Wärmebildkameras, die stressbedingtes Schwitzen erkannten, kam die Studie zu einem bemerkenswerten Ergebnis: Menschen, die häufig gleichzeitig ihr Kinn, ihre Wangen und ihre Nase berührten, zeigten deutlich stärkere körperliche Stressreaktionen.
Dieses Verhalten scheint evolutionäre Wurzeln zu haben. Wissenschaftler haben ähnliche selbstberuhigende Gesten auch bei anderen Primaten beobachtet. Kinn, Nase und Stirn bilden die sogenannte "T-Zone", die am häufigsten berührt wird und mit feinen Körperhaaren und dichten Nervenenden übersät ist. Wenn die geistige Belastung zunimmt, bewegt sich die Hand instinktiv in Richtung dieser Regionen, möglicherweise weil das Berühren dieser hochsensiblen Bereiche in stressigen Momenten beruhigend wirkt.
"Das Berühren des unteren Gesichtsbereichs ist ein sicherer Indikator für eine Überaktivität des Sympathikus, die ein Indikator für psychischen Stress ist", schreiben die Forscher in ihrer Studie.
Die Teilnehmer berührten überwiegend die linke Seite ihres Gesichts, was mit früheren Untersuchungen übereinstimmt, wonach Menschen für spontane Berührungen ihres Gesichts in der Regel die nicht-dominante Hand verwenden.
Das gleichzeitige Berühren mehrerer Bereiche des unteren Gesichts zeigte den stärksten Zusammenhang mit Stress. Nicht alle Berührungen des Gesichts hatten das gleiche Gewicht. Das Berühren von Kinn, Wangen und Nase korrelierte speziell mit Stress, während andere Kombinationen einen schwächeren oder gar keinen Zusammenhang aufwiesen.
Während des viertägigen Beobachtungszeitraums zeigten sich individuelle Unterschiede. Zwei Teilnehmerinnen berührten ihr Gesicht deutlich häufiger als andere und fielen damit in die Kategorie "häufige Berührungen", die in früheren psychologischen Studien identifiziert wurde. Im Gegensatz dazu berührte eine Teilnehmerin ihr Gesicht kaum, was auf individuelle Unterschiede in den Selbstberuhigungsstrategien während kognitiver Arbeit hindeutet.
Eine Studie aus dem Jahr 2022 ergab, dass das Verbot, Menschen, die normalerweise häufig ihr Gesicht berühren, daran zu hindern, dies zu tun, ihre Gedächtnisleistung beeinträchtigte und ihre Gehirnaktivitätsmuster veränderte. Die neuronalen Veränderungen traten vor dem Körperkontakt auf, was darauf hindeutet, dass die Bewegung der Hand in Richtung des Gesichts (nicht nur die Berührung selbst) eine Rolle bei der Emotionsregulation spielt.
Entwicklungsforschungen zeigen, dass sich diese Selbstberührungsmuster erst nach bestimmten Stadien der Gehirnentwicklung vollständig ausbilden. Eine Studie, in der vorpubertierende und nachpubertierende Mädchen verglichen wurden, fand nur in der älteren Gruppe ausgeprägte Selbstberührungsmuster, wobei zwei Formen der Selbstregulation und eines der Konversation dienten.
Kontinuierlich gemessenes Berühren des Gesichts in natürlichen Arbeitsumgebungen ermöglicht es, psychischen Stress zuverlässiger zu erfassen als Gesichtsausdrücke. Dies ist deshalb von Bedeutung, weil Gesichtsausdrücke bewusst gesteuert werden können, während spontane Selbstberührungen typischerweise außerhalb des Bewusstseins erfolgen.