Zum Auftakt der Kollektivvertragsverhandlungen für die mehr als 430.000 Angestellten sowie die gut 20.000 Lehrlinge im heimischen Handel in der Wirtschaftskammer in Wien zeigte sich am Donnerstagvormittag rasch: Die beiden Chefverhandler, Rainer Trefelik für die Arbeitgeberseite und Mario Ferrari für die Gewerkschaft GPA, mögen sich zwar mit "Du" ansprechen – inhaltlich liegen ihre Positionen allerdings weit auseinander.
"Wir befinden uns seit vier, fünf Jahren in einer Dauerkrise", sagte WKO-Handelsobmann Rainer Trefelik gleich zu Beginn. Die Situation sei schwierig, Prognosen hätten sich nicht erfüllt. Nun gelte es, "gemeinsam eine Lösung in schwierigen Zeiten" zu finden. Eine solche sei aber nur möglich, wenn sie auch für die Betriebe "gangbar, leistbar und finanzierbar" sei. Trefelik verwies auf die zuletzt gestiegenen Arbeitslosenzahlen und die angespannte wirtschaftliche Lage.
GPA-Verhandler Mario Ferrari betonte hingegen den "leichten Aufschwung", der sich in der Branche abzeichne, und den man nun auch in den Geldbörsen der Beschäftigten spürbar machen müsse. "Wir wollen die Kaufkraft sichern und die Teuerung abgelten", so Ferrari. Ziel sei ein Abschluss über der Inflationsrate, die über die vergangenen zwölf Monate gerechnet bei 3,01 Prozent liegt. Einmalzahlungen seien aus gewerkschaftlicher Sicht keine Lösung, vielmehr brauche es "nachhaltige Gehaltserhöhungen, um den Inlandskonsum anzukurbeln".
Trefelik zeigte sich skeptisch. Die Vorstellung, dass hohe Abschlüsse automatisch den Konsum befeuern, habe sich in den vergangenen Jahren nicht erfüllt. "Ungefähr ein Drittel fließt maximal zurück, zwei Drittel der Kostenbelastung bleiben bei den Betrieben", so der WKO-Vertreter. Wichtig sei es daher, auch die Rentabilität der Unternehmen und den Erhalt der Arbeitsplätze im Blick zu behalten.
Zur wirtschaftlichen Gesamtlage verwies Trefelik auf das Wirtschaftsforschungsinstitut WIFO, das zuletzt von einem "Herausschleppen aus der Rezession" gesprochen habe. Das Wachstum im ersten Halbjahr habe nur 0,5 Prozent betragen, nach drei Jahren mit realem Minuswachstum. Ferrari blieb dennoch optimistisch: "Wir sehen den Aufschwung – klein, aber vorhanden. Und wir wollen ihn ins Ziel bringen."
Auch beim Thema Rahmenrecht gibt es unterschiedliche Zugänge. Die GPA fordert unter anderem einen 50-prozentigen Zuschlag für Mehrarbeit von Teilzeitkräften sowie zusätzliche Freizeittage ab einer Betriebszugehörigkeit von fünf, zehn bzw. 15 Jahren. Trefelik nahm die Forderungen "zur Kenntnis", zeigte sich aber wenig begeistert. In Zeiten, in denen es darum gehe, sich aus einer Krise herauszuarbeiten, sei es schwer nachvollziehbar, dass man das mit mehr Urlaubstagen erreichen könne.
Atmosphärisch betonten beide Seiten den sozialpartnerschaftlichen Zugang. Man wolle "auf vernünftiger Gesprächsebene" miteinander verhandeln, so Trefelik. Ferrari sprach von einem "lösungsorientierten Zugang", mahnte aber gleichzeitig, dass es "heute keine Einigung geben" werde. Der Abstand zwischen den Vorstellungen sei einfach zu groß.
Am ersten Verhandlungstag geht es demnach vor allem darum, die wirtschaftliche Ausgangslage zu analysieren und die jeweiligen Einschätzungen zur Lage des Handels auszutauschen, so Trefelik und Ferrari. Beide Seiten wollen dabei ihre wirtschaftlichen Gutachten und Prognosen präsentieren und auf dieser Basis die Grundlage für die eigentlichen Lohnverhandlungen schaffen. Themen wie die Inflationsrate, der zaghafte Konjunkturaufschwung und die Belastungen der Betriebe stehen dabei im Mittelpunkt.
Weitere Termine sind bereits vereinbart – und zwar für den 13. und 24. November. Sollte es bis dahin keinen Abschluss geben, könnte es, wie die Gewerkschaft GPA bereits im Vorfeld durchblicken ließ, zu Kampfmaßnahmen bis hin zu Streiks kommen.