Ein Samstagstermin am Ballhausplatz: Bundeskanzler Christian Stocker (65, VP) empfängt "Heute" wieder fit im holzvertäfelten Kreisky-Zimmer. Er sei es aus seiner Zeit als Anwalt gewöhnt, am Wochenende liegengebliebene Akten aufzuarbeiten – die Arbeit am Samstag mache ihm nichts aus, sagt Stocker.
Der erste Adventsonntag gehört dafür ganz seiner Familie, schließlich feiert die Mutter des Regierungschefs Geburtstag. Der sichtlich erschlankte Stocker (navy-blauer Anzug mit Österreich-Flagge am Revers, hellblau-gepunktete Krawatte) spricht über seine Operation, falsche Gerüchte sowie den Zustand der Regierung und seiner Partei. Am traditionell-liturgischen Adventkranz (drei lila, eine rosa Kerze) flackert das erste Licht, er selbst zeigt sich entschlossen, 2029 wieder für die ÖVP als Spitzenkandidat anzutreten ...
"Heute": Herr Bundeskanzler, es ist vielleicht eine etwas unkreative Einstiegsfrage, liegt nach Ihrer Rücken-Operation aber auf der Hand: Wie geht es Ihnen, haben Sie sich vollständig erholen können?
Christian Stocker: Ich bin gut erholt, habe – auf ärztliches Anraten – vier Wochen im Home Office gearbeitet, bis ich wieder die Freigabe für die Rückkehr ins Kanzleramt hatte. Die Operation war erfolgreich, ich bin wieder schmerzfrei. So gesehen geht es mir besser als vorher.
Sie haben gemeint, Sie wären so schmerzfrei, wie seit 12 Monaten nicht mehr. Wie schlimm waren die Qualen in den letzten Wochen wirklich?
Die Schmerzen waren intensiv, weil sie permanent waren – 24 Stunden, 7 Tage. Ich bin den Ärzten, die die Operation durchgeführt haben, sehr dankbar.
Einige Medien haben wilde Spekulationen über Ihren Gesundheitszustand angestellt – bis hin, dass Sie nicht mehr amtsfähig wären. Was machen solche Gerüchte mit einem?
Bei manchen war vielleicht der Wunsch Vater des Gedankens. Im Wissen, dass diese Gerüchte jeglicher Grundlage entbehren, haben sie mich nicht sonderlich getroffen.
Ich nehme an, für Ihre Ehefrau war es auch eine neue Situation, Sie 24 Stunden zuhause zu haben.
Da könnte Ihnen meine Frau mehr darüber erzählen …
Kommen wir zum Politischen: Sie haben diese Woche in einer Pressekonferenz gemeint, dass die "Zeit des Redens" vorbei sei. Hat die Bundesregierung neun Monate vertrödelt?
Manche wollen es so sehen. Aber es ist falsch. Doppelbudget beschlossen, Familiennachzug gestoppt, Gefährder-Überwachung, Pensions- und Gehaltsabschluss öffentlich Bediensteter unter der Inflation, Stabilitätspakt verabschiedet, Energiepreissenkungen oder die Entrümpelung von Vorschriften – diese Regierung hat in neun Monaten sehr vieles angekündigt und sehr vieles umgesetzt.
Sie haben diese Woche eine halbe Milliarde für billigeren Strom angesagt. Die Österreicher hören sehr oft, dass etwas billiger werden soll – beim Blick aufs Konto ist das Gegenteil der Fall. Machen wir es doch konkret, Herr Bundeskanzler: Wann wird der Strom endlich billiger?
Wenn es nach mir geht, sofort. Wir haben die Gegenfinanzierungen aufgestellt; die Maßnahmen, die es braucht – nämlich Abgabensenkungen – liegen auf der Hand. Alles, was wir beschließen, muss allerdings auch vom Parlament mitgetragen werden. Ich will, dass die Menschen Anfang des Jahres spüren, dass die Stromkosten billiger werden. Darüber hinaus liegt auch das Billigstromgesetz im Parlament.
„Die Entlastung soll schon Anfang des Jahres auf der Rechnung sichtbar sein.“Christian StockerBundeskanzler (VP)
Wo Sie aber die Zustimmung von FPÖ oder Grünen brauchen.
Es geht jetzt darum, ob FPÖ und Grüne dazu bereit sind, die Menschen in Österreich zu entlasten. Dieses Gesetz soll den Anstieg der Netzkosten deutlich bremsen. Außerdem müssen die Preissenkungen von den Energieunternehmen unmittelbar an die Haushalte weitergegeben werden – viel schneller als bisher. Einkommensschwache erhalten schon mit Inkrafttreten billigeren Strom. Die von mir angesprochenen 500 Millionen sind zusätzlich für eine Abgabensenkung. Das soll schon Anfang des Jahres auf der Rechnung sichtbar sein.
Bei welcher Oppositionspartei orten Sie größere Bereitschaft, der Regierung zu einer Zwei-Drittel-Mehrheit im Parlament zu verhelfen?
Ich sehe keinen Grund, warum auch nur eine Partei dieses Gesetz, das die Menschen spürbar entlastet, ablehnen könnte.
Für die Österreicher ist laut einer "Heute"-Umfrage erstmals seit vielen Jahren das Thema Migration nicht mehr das drängendste, sondern die Teuerung. Hat diese Regierung die Kraft, das Ruder herumzureißen?
Ich bin überzeugt davon. Im Kampf gegen die Migration haben wir bereits sehr viel geschafft: Wir haben die Asylzahlen massiv nach unten gedrückt, den Familiennachzug gestoppt und schieben nach Syrien und Afghanistan ab .
Sie schaffen das auch bei der Inflation?
Natürlich. Wir arbeiten gemeinsam am Aufschwung für Österreich.
„Für die Partei war das Thema Wirtschaftskammer alles andere als gut, das sehen wir in den Umfragen. Ich hätte gerne darauf verzichtet.“
Zu den Abschiebungen: Wir schieben – etwa nach Syrien – einzelne Straftäter ab. Für die Bevölkerung müsste das viel schneller gehen.
Wir bringen derzeit pro Tag 35 Personen außer Landes – die Hälfte davon zwangsweise. Man darf auch nicht vergessen: Österreich ist das einzige Land in der EU, das nach Syrien abschiebt. Was wäre die Alternative? Sollen wir sagen, weil es nur ein paar sind, dürfen sie dableiben, obwohl sie kein Recht dazu haben? Für mich ist das keine Option. Wir werden weiter konsequent nach Syrien abschieben.
Gestatten Sie, dass wir zu Ihrer Partei, der Volkspartei kommen. Lag es an Ihrer Rekonvaleszenz, dass Sie beim Gagen-Thema in der Wirtschaftskammer passiv gewirkt haben?
Ich habe den Zugang, dass wir auch in schwierigen Situationen miteinander und nicht übereinander sprechen. Das habe ich auch in dieser Phase so gehalten. Ich bin in dieser Zeit mit Harald Mahrer mehrfach in Kontakt gestanden. In der Kammer besteht jetzt das Bewusstsein, dass Reformen dringend notwendig sind und die Aufwandsentschädigungen neu geregelt werden müssen. Harald Mahrer hat für einen Fehler einen sehr hohen Preis bezahlt und den Weg freigemacht für eine glaubwürdige Neuaufstellung der Wirtschaftskammer. Für die Partei war das alles andere als gut, das sehen wir in den Umfragen. Ich hätte gerne darauf verzichtet.
„Familie, Leistung und Sicherheit – wir haben das im Wahlkampf als zentrale Werte vertreten und nicht vergessen.“
Der Wirtschaftsbund war in den letzten Jahren ein Machtzentrum der ÖVP, das nun erschüttert wurde. Für meine Eltern- und Großelterngeneration war immer klar, wofür die Volkspartei steht: Eigenverantwortung, Familienwerte, einen großen Drang, das Land zu gestalten. Wofür steht Ihre Partei heute?
Für all das, was Sie aufgezählt haben. Familie, Leistung und Sicherheit – wir haben das im Wahlkampf als zentrale Werte vertreten und nicht vergessen. Und es ist unsere Aufgabe, das auch der Enkel-Generation zu vermitteln.
Aber wie glaubhaft stehen Sie dafür?
Wir stehen für all das. Auch für Eigenverantwortung. Aber wir sehen auch: Immer, wenn es schwierig wird, gibt es den Ruf nach dem Staat von all jenen, die sonst Eigenverantwortung hoch hängen. Ich stehe dazu: Der Staat soll in Krisen eine Rolle haben. Aber die Krise darf nicht der Dauerzustand sein. Wir wollen, dass die Menschen ihr Leben selbstbestimmt führen können.
Ich möchte nicht despektierlich klingen: Derzeit steht Ihre Partei in der Öffentlichkeit eher für Postenschacher und Luxusgagen.
Man muss die Kirche im Dorf lassen. Postenschacher ist ein Thema, das die Zweite Republik vom Beginn an begleitet. Glücklicherweise hat sich das Bewusstsein dafür deutlich verändert. Das ist auch gut so.
Sie haben diese Woche gemeint: Diese Regierung ist vielleicht die letzte, die Politik der Mitte mache. Braucht es die Mitte noch?
Natürlich, die Österreicher wollen eine Politik der Mitte haben. Wir sind angetreten, um das Richtige zu tun. Das müssen wir den Menschen auch vermitteln.
Herr Bundeskanzler, aktuelle Umfragen geben die Sehnsucht nach der Mitte nicht her. Die linken und rechten politischen Ränder haben deutlich über 50 Prozent Zuspruch.
Mich freut, dass Sie das auch als politischen Rand sehen – auch, wenn die Vertreter dieser Parteien ihren Rand als politische Mitte verkaufen. Wir sind international mit großen Herausforderungen konfrontiert und sind in dieser veränderten Weltlage gefordert, national Sicherheit zu geben. Wir haben uns dem verschrieben – in der Migrationsfrage, in der Wahrung unserer Demokratie oder dem Schutz unserer Landesgrenzen. Lassen Sie mich vielleicht ein aktuelles Beispiel anführen …
Nur zu.
Die schreckliche Tat jenes afghanischen Vaters, der diese Woche in Wien beinahe seine Tochter umgebracht hätte, hat einen ehrkulturellen Hintergrund. Das akzeptiere ich in unserem Land nicht. Daher bin ich auch für das Kopftuchverbot für Kinder. Als klares Signal: Wir schützen unsere minderjährigen Mädchen in unserer freien, demokratischen Gesellschaft.
Sollte der Verdächtige abgeschoben werden?
Nach den Ermittlungen wird ein Aberkennungsverfahren der Staatsbürgerschaft und die Abschiebung eingeleitet.
Denken Sie wirklich, dass mit der Babler-SPÖ eine Politik der Mitte möglich ist?
Die ÖVP ist Mitte-rechts, die SPÖ Mitte-links und die Neos sind Mitte-liberal – es ist oft eine Herausforderung, das in eine gemeinsame Regierungspolitik fließen zu lassen, aber gerade diese Kombination ist die Mitte.
Machen Ihnen die Umfragewerte von Herbert Kickl Sorgen?
Es ist nicht befriedigend, wie es derzeit ist und wir werden alles dafür tun, dass aus den Umfrage- keine Wahlergebnisse werden. Ich halte es mit Wolfgang Schüssel, der gemeint hat: "Schauen wir nicht immer nur, wo wir in Umfragen liegen, sondern darauf, wo wir stehen. Denn das macht den Unterschied zwischen liegen und stehen."
Wie verbringen Sie den heutigen ersten Adventsonntag?
Mit meiner Familie. Meine Mutter hat Geburtstag, es ist also selbstverständlich, dass ich ihn zuhause verbringe.
Meine Frage hat einen Hintergrund: Sie haben sich am Rande in die Stadtbild-Debatte des deutschen Bundeskanzlers Friedrich Merz eingebracht. Hat sich unser Land in den vergangenen Jahren verändert?
Genauso wie alles andere verändert sich auch das Land ständig. Leben ist Veränderung. Es bringt nichts, die Augen vor der Realität zu verschließen. Wer sich in Österreich mit offenen Augen durch die Städte bewegt, sieht Veränderung. Mir ist wichtig zu betonen: Es geht darum festzulegen, wie wir unser Zusammenleben gestalten wollen. Wir müssen klar definieren, was bei uns zulässig ist und was nicht. Diese Grenzen sind einzuhalten und Übertretungen müssen bestraft werden. Ich bin gegen Beliebigkeiten und Augenverschließen – das würde dazu führen, dass man Vertrauen verliert.
Wofür steht unsere Gesellschaft Ihrer Meinung nach?
Dafür, dass die Menschen so leben können, wie sie wollen, wenn sie die Rechtsordnung einhalten, die den Rahmen dafür vorgibt und sicher nicht die Religion oder gar die Scharia. Unsere freie Demokratie lebt von Freiheit und Selbstbestimmtheit.
In Wiener Schulen sind mittlerweile muslimische Kinder in der Mehrheit. Sind Sie dennoch dafür, dass wir das Kreuz, den Adventkranz und Weihnachtsfeiern weiter aufrechterhalten?
Ja.
Herr Bundeskanzler, vielen Dank für das Gespräch.