Dr. Google wird ersetzt

"Oft zu spät" – Experte warnt vor TikTok-Therapie

Jugend- und Kinderpsychiater Paul Plener erklärt im "Heute"-Interview, wie sich das Phänomen um Medfluencer auf Ärzte und Patienten auswirken kann.
Heute Life
02.05.2025, 21:56

In den Sozialen Medien werden diverse Themen aufgegriffen und dementsprechend enttabuisiert, unter anderem auch das Thema "psychische Gesundheit". Sogenannte Medfluencer betreiben entweder reine Aufklärungsarbeit oder erstellen Videos, in denen sie Tipps zur Behandlung bestimmter psychischer Erkrankungen geben. Wieso solche Empfehlungen kritisch zu betrachten sind und bei welchen Beiträgen Acht gegeben werden muss, teilt Leiter der Wiener Universitätsklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie Paul Plener in diesem "Heute"-Interview mit.

Einfache Heilung durch Medfluencer?

Auch wenn eine Enttabuisierung solcher Themen auf Social Media wichtig sein kann, muss darauf geachtet werden, wer solche Videos hochlädt. "Wir finden es gut, dass in sozialen Medien über die psychische Gesundheit gesprochen wird, dennoch nehmen wir wahr, dass auf den Plattformen einige Medfluencer über psychiatrische Erkrankungen sprechen, die jedoch keine facheinschlägige Ausbildung besitzen", warnt Plener. Die Beiträge bestimmter Medfluencer, welche nicht immer medizinisch qualifiziert sind, können Patienten negativ beeinflussen. "Das Problem ist, dass Personen oft zu spät nach Hilfe suchen, weil sie zuerst Dinge probieren, die auf Social Media propagiert werden, welche oft nicht hilfreich sind. Solche Empfehlungen können zu einer Verzögerung der Inanspruchnahme einer Behandlung führen", fügt der Jugendpsychiater zu.

Außerdem sieht der psychiatrische Leiter noch ein zusätzliches Problem. Laut ihm, werden psychische Erkrankungen auf Social Media-Plattformen bagatellisiert, was bei Patienten ein Schamgefühl auslösen kann. "Oft denken Erkrankte, dass sie es ohne hin selber schaffen. Dieser Eindruck 'Es ginge so leicht' wird erweckt, weil Leute psychische Erkrankungen im Netz sehr vereinfacht darstellen. Dadurch ziehen sich Erkrankte zurück und suchen keine Hilfe", so Plener. Er meint auch, dass durch bestimmte Beiträge psychische Krankheiten als nicht ernsthaft wahrgenommen werden, was wiederum zu einer Verzögerung, bei der Suche nach psychiatrischer Hilfe, führen kann.

„Dadurch ziehen sich Erkrankte zurück und suchen keine Hilfe.“
Paul PlenerLeiter der Wiener Universitätsklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie

Trauma ist nicht gleich Trauma

Vor allem psychische Erkrankungen, wie ADHS oder Autismus, sind häufiges Thema, doch die Arten der Krankheiten, die auf Social Media thematisiert werden, nimmt enorm zu. "Die Thematik 'Trauma' wird unfassbar stark auf Social Media behandelt. So werden Ereignisse als Trauma dargestellt, bei denen es sich um keine Traumata handelt, sondern eher um belastende Situationen", erzählt der Kinder- und Jugendpsychiater. "Online findet man auch viele Falschinformationen zum Thema 'posttraumatische Belastungsstörung' und wie man mit dieser umgehen sollte. Themen, die Medfluencer oft auch behandeln, sind Tics, Tourette oder Depression", fügt Plener hinzu.

Wer sich auf sozialen Plattformen über psychische Erkrankungen informiert oder Videos darüber konsumiert, trifft früher oder später auf ein bestimmtes Dilemma. Plener erläutert, dass durch Social Media eine immense Anzahl von Informationen zur Verfügung stehen, man aber sich entscheiden muss, welchen Informationen man letztendlich vertraut. Ein weiteres Risiko sieht der Psychiater: "'Fact-Checking' wird nicht mehr von großen Social Media-Plattformen verfolgt, was in diesem Zusammenhang sehr bedenklich ist". Doch wo ein Risiko besteht, so sieht Plener ebenso eine Chance. Es könnten Gütesiegel eingeführt werden, die darauf hindeuten, dass jene Information aus einer sehr vertrauenswürdigen Quelle kommen. "Man muss den Leuten klar machen, dass es wichtig ist, vor allem diese Inhalte zur Informationsgewinnung zu verwenden", so Plener.

So weit ist Social Media noch nicht

Auch wenn Medfluencer, durch ihren Kontakt online so nahbar wirken, können Ärzte und medizinische Influencer nicht auf dieselbe Waage gelegt werden. "Social Media funktioniert über eine gewisse Kurzlebigkeit: Oft werden komplexe Inhalte in kurzer Zeit wiedergeben. Dies wiederum führt dazu, dass Leute das Gefühl bekommen, dass bestimmte Ereignisse einfach bewältigbar sind, obwohl sie es in der Realität nicht sind", erläutert Plener. Der Kinder- und Jugendpsychiater merkt, dass dies zur Enttäuschung bei Patienten führen kann, wenn man über Therapien oder andere Maßnahmen spricht.

Grundsätzlich soll klar sein, dass bei bestehenden Verdacht, an einer psychischen Erkrankung zu leiden, sich professionelle Hilfe zu suchen, wichtig ist. "Es ist gut, Aufklärung auf sozialen Medien zu betreiben. Was tatsächlich schwierig ist, sind wirklich sehr komplexe Behandlungsinhalte, als Empfehlungen rauszugeben", fügt Plener letztendlich hinzu.

{title && {title} } red, {title && {title} } 02.05.2025, 21:56