Frontlinien. 25 Jahre zwischen Krise, Krieg und Hoffnung – so heißt das neue Buch von Christian Wehrschütz. Darin gibt das ORF-Urgestein persönliche Einblicke in das Leben eines Kriegsreporters, der seit mehr als 25 Jahren von den Brennpunkten Europas berichtet.
"Ich habe viel Elend gesehen, aber auch viel Heldenmut und Gutes. Politiker und Diplomaten erlebte ich aus der Nähe – im Guten wie im Schlechten", schreibt Wehrschütz gleich zu Beginn.
Bei Vorträgen und Buchpräsentationen sei er oft gefragt worden, wie er all die schrecklichen Bilder verkrafte: "Der Anblick von Toten ist bedrückend, doch das Elend von Hinterbliebenen, Kindern, die zu Waisen wurden, und von Pensionisten, die in Armut leben, noch viel mehr. Das Zusammensein mit meiner Familie, das Spielen mit meiner Enkelin sind für mich der beste Ausgleich."
Das Motto der ORF-Legende: "Verloren ist nur, wer sich selbst aufgibt."
Wie ist Wehrschütz zu seinem Beruf als ORF-Korrespondent gekommen? "Ich wollte ursprünglich immer nach Russland", schreibt der 64-Jährige. Unter Generaldirektor Wrabetz habe er die Möglichkeit bekommen, nach Moskau zu gehen, aber: "Da war ich schon seit Jahren in der Ukraine und auf dem Balkan, und beides wollte ich nicht aufgeben. Was sich als richtig erwiesen hat, denn ein Jahr nach dem Angebot begann der Krieg in der Ukraine."
In seinem Buch erzählt Wehrschütz von seinem ersten Mal an der Front im Jahr 2001. In Tetovo (Nordmazedonien), einer "Albaner-Hochburg", habe er damals seinen ersten "zweiten Geburtstag" gefeiert.
"Bei der Stadteinfahrt gab es einen Kontrollposten. Die Rückwand des Postens bildete ein Kiosk. Von dort überwachten Sonderpolizisten die Einfahrtsstraße. Um mich mit ihnen anzufreunden, kaufte ich eine Flasche Weinbrand. Die haben mich gleich zu sich eingeladen in den Kontrollposten, und wir haben geplaudert."
Danach ist alles ziemlich eskaliert: "Plötzlich reißt einer der Soldaten neben mir seine Kalaschnikow in die Höhe und fängt zu schießen an. Ich habe mich sofort auf den Boden geworfen und bin hinten aus dem Checkpoint rausgekrochen." Das Resümee des Reporters: "Nordmazedonien war meine erste Feuertaufe als Kriegsberichterstatter."
Wehrschütz erinnert sich an einen Zwischenfall, den er als "einen der schlimmsten Drehs" bezeichnet: den Abschuss des malaysischen Flugzeugs MH17 im Jahr 2014, als 298 Menschen ums Leben gekommen sind.
"Noch am selben Tag sind wir in die Ostukraine gefahren, wo das Flugzeug abgestürzt ist. Das Flugzeug ist in großen Teilen heruntergekommen und das Gebiet war nicht abgesperrt. Teilweise haben die Journalisten noch Leichen gefunden. 95 Prozent von dem Material, das wir dort aufgenommen haben, ist nie auf Sendung gegangen, obwohl ich ein Anhänger der harten Kriegsberichterstattung bin. Aber da waren sich alle einig: Niemand will einem Verwandten zumuten, dass er sehen muss, wie ein geliebter Mensch aussieht, nachdem er aus 10.000 Meter Höhe gefallen ist", schreibt der Korrespondent.