Er nimmt sich kein Blatt vor den Mund! Der bekannte Kriegskorrespondent Christian Wehrschütz teilt in einem "Kleine Zeitung"-Interview rund um den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine heftig aus.
"Die Europäer haben eine zutiefst heuchlerische Haltung", donnert er in Richtung Brüssel. Denn während gleichzeitig Unterstützung für die Ukraine beschworen werde, würden ab Juni wieder Zölle auf deren landwirtschaftlichen Produkte erhoben. "Wenn das eine konsequente Unterstützungspolitik ist, dann kenn’ ich mich nicht aus."
Nach drei Jahren voller Zerstörung und unzähliger Tote hätte man es immer noch nicht geschafft, Kriegstreiber Wladimir Putin zum Einlenken zu bringen, kritisiert Wehrschütz. Das Gegenteil sei der Fall: Die Russen wähnten sich auf dem Schlachtfeld überlegen und zeigten nun sogar eine noch geringere Bereitschaft, sich auf irgendwelche Kompromisse einzulassen.
Auch das geschlossene Vorgehen der EU und der USA, auch puncto Waffenlieferungen, sei inzwischen zerbröselt: "Amerikaner und Europäer haben keine gemeinsame Linie. Das Einzige, was beide gemeinsam haben, ist: Sie sind nicht bereit, für die Ukraine zu sterben."
Als Ausweg sieht er nur einen neuerlichen radikalen Kurswechsel durch Donald Trump: "Die Amerikaner müssten sagen: Wir können das alles nicht zulassen, wir müssen die Ukraine so unterstützen, dass sie in eine Position kommt, wo sie die Front stabilisiert und die Kriegskosten für Russland so hoch werden, dass der Kreml zu einem Kompromiss bereit ist." Die Ukraine brauche zudem belastbare Sicherheitsgarantien analog zu Artikel 5 der NATO.
"Das einzig Seriöse, was Europa tun könnte, ist, die Ukraine so aufzupäppeln, dass […] sie nach einem allfälligen Waffenstillstand in der Lage ist, den Eintrittspreis so hochzuhalten, dass man sie nicht angreift. […] Die Rückkehr zu einer Realpolitik ohne große Ankündigungen wäre vielleicht der erste Schritt. Nach Kiew fahren und große Töne zu spucken – das ist kontraproduktiv. Wenn Merz Putin ein Ultimatum stellt, ist das nur lächerlich."
Wir als Europäer müssten endlich aufwachen und in die Gänge kommen, mahnt Wehrschütz: "Wenn wir irgendeine minimale Rolle in der Welt spielen wollen, müssen wir in der Lage sein, uns selbst zu schützen." Dabei lässt sich der Milizoffizier auch zu einer harschen Kritik an der österreichischen Innenpolitik hinreißen: "Sechs Monate Wehrdienst sind eine Schande. Damit produzieren wir Kanonenfutter und keine Soldaten."
Auch die NATO als Verteidigungsmacht sieht der Kriegsberichterstatter in Trümmern liegen. Wer zieht in den Krieg, sollte Russland nur ein kleines Dorf im Baltikum angreifen? "Die Europäer sicher nicht", lautet seine düstere Antwort. Dann wäre die NATO tot: "Wenn sie sich genauso heldenhaft verhalten wie 2004 beim Aufstand im Kosovo, dann ist das eh wurscht." Ohne die USA ist das Bündnis für Wehrschütz de facto wertlos: "Die NATO hat immer geheißen: amerikanische Rückversicherung."
Ohne eine neuerliche Aufrüstung werde Europa weiter vom Kreml verachtet und ignoriert werden: "Putin nimmt die ernst, die ihm etwas entgegenzusetzen haben", schärft Wehrschütz nach.
Er warnt vor völlig neuen Playern auf der Bühne der Geopolitik: "Das Zeitalter der westlichen Dominanz ist vorbei. Das haben wir noch immer nicht kapiert. Wir sind nicht mehr unipolar. Wenn wir das nicht verstehen, werden wir immer wieder auf die Nase fallen."