Sieben Monate ist die erste Dreier-Koalition nun im Amt – und schon in den Mühen der Ebene angekommen. Zwei Drittel sind mit der Arbeit der Regierung unzufrieden.
Die triste Stimmung im Land spiegelt sich auch in aktuellen Umfragen wider: "Heute"-Meinungsforscher Peter Hajek schätzt die FPÖ ein Jahr nach der Wahl auf 33 Prozent hoch – würde Kickl diesen Wert bei einer Nationalratswahl erzielen, könnte in Österreich kein Verfassungsgesetz mehr ohne die Blauen beschlossen werden.
Während sich die ÖVP (23 Prozent) unter der Obmannschaft Christian Stockers zart erholt, stürzt die SPÖ ins Bodenlose und hat nur noch einen 1er vor dem Ergebnis. 19 Prozent geben an, die Roten wählen zu wollen, wären am kommenden Sonntag Wahlen.
Besonders bedenklich: Lediglich 62 Prozent der SPÖ-Wähler können sich ihren eigenen Parteichef Andreas Babler als Bundeskanzler vorstellen. Der Vorsitzende ziehe mit ungelenken Aktionen immer wieder auch das komplette rote Regierungsteam hinunter, monieren mehrere Regierungsinsider.
Ein Beispiel ist die teure New-York-Reise, die Babler zur Rückgabe von Notenblättern im September unternommen hat, obwohl Bundespräsident Alexander Van der Bellen, Kanzler Christian Stocker und Außenministerin Beate Meinl-Reisinger zwei Wochen später ohnedies wegen der UNO-Generalversammlung im Big Apple weilten.
Als dann Kritik aufkam, reagierte der Vizekanzler pampig. Auf die Frage der "Kronen Zeitung", wie viel der Trip gekostet habe, meinte er schnoddrig, nicht der Buchhalter des Ministeriums zu sein. Faktisch richtig, strategisch jedoch ein interessanter Move. Es kam, wie es kommen musste: Die Freiheitlichen brachten für die größte Tageszeitung des Landes eine parlamentarische Anfrage ein – die Story holt Babler somit in zwei Monaten neuerlich ein.
Statt über Mietpreisbremse, Waffengesetz oder Teuerung diskutiert das Land jetzt und dann über die Spesen des SPÖ-Chefs. In den Umfragen ist somit keine Trendwende für die Roten in Sicht, obwohl etwa Finanzminister Markus Marterbauer, Infrastrukturminister Peter Hanke oder Gesundheits-Staatssekretärin Ulrike Königsberger-Ludwig trotz widrigster Umstände einen souveränen Job machen – insbesondere auch kommunikationstechnisch.
Die steigende Zustimmung für FPÖ und auch Grüne (von 8 auf 11 Prozent in einem Jahr) ist auch hausgemacht. Bestes Beispiel ist der Ministerrat in dieser Woche. Am Tag der Bekanntgabe der Inflationszahlen (vier Prozent laut Schnellschätzung im September) und nach dem viel-diskutierten Urteil im Fall Anna, debattierte die Dreier-Koalition im Kanzleramt über eine Afrika-Strategie und Perspektivengespräche in Schulen.
Schuld daran: das starre Korsett. Jeder der Regierungsparteien kommt im "Dreier-Radl" die Hauptrolle im Ministerrat zu. Dieses Mal fiel sie den Neos zu. Da diese Außen- und Bildungsministerium besetzen, mussten aus diesen Ressorts die Themen kommen. "Wir haben mehrmals darauf hingewiesen, dass das diese Woche nach hinten losgehen wird, die Neos wollten aber unbedingt am gewohnten Ablauf festhalten", schildert ein Regierungsstratege.
Und so ging man – ohne Not – wieder Herbert Kickl in die Falle. Dieser forderte prompt eine "Österreich-Strategie" statt der präsentierten "Afrika-Strategie" (Meinl-Reisinger: "Chancenkontinent") von der Bundesregierung ein.
Nächste Woche ist wieder die Kanzlerpartei ÖVP an der Reihe. Wie "Heute" erfuhr, landet doch nicht das Klimaschutzgesetz im Ministerrat, sondern ein Paket für Saisonarbeitskräfte (Rot-Weiß-Rot-Card) aus dem Ausland. Detail am Rande: 375.000 waren im Inland im September arbeitslos gemeldet oder in Schulung.
Die Verzögerungen beim Klimaschutz sind wiederum für die unter Leonore Gewessler aufblühenden Grünen ein aufgelegter Elfer. Die Öko-Partei hat es sich vor allem zum Ziel gemacht, grüne Leihstimmen für Babler (etwa in der Hauptstadt Wien) zurückzugewinnen. "Beim Klimaschutz fallen wir nicht um", betonte Gewessler unlängst in einem "Heute"-Interview. Infrastrukturminister Hanke framed man als "Betonminister" und weist bei jeder Gelegenheit auf die Preiserhöhungen beim Klimaticket und in den Wiener Öffis hin.
"Wir haben in der Koalition mit der ÖVP fast sechs Prozentpunkte verloren, warum soll es der SPÖ anders gehen?", sagt ein Funktionär zu "Heute". Hierfür rückte man Leonore Gewessler zuletzt merklich in die Mitte, zeigte sie wiederholt beim Autofahren auf Instagram. Sigi Maurer bespielt die Grüne Kern-Community humorvoll auf TikTok und Ex-Justizministerin Alma Zadić wird geschickt als Aufdeckerin positioniert und schaut der Regierung bei den Kosten für ihre Schattenminister und Spesen auf die Finger.
Man wolle der FPÖ keineswegs das Oppositionsfeld alleine überlassen, bemühe sich aber um eine deutliche Abgrenzung in Stil und Tiefe der Arbeit, heißt es bei den Grünen. Die Regierung steckt also in der blau-grünen Doppelmühle.
All die Troubles machen sich auch schon an personeller Front bemerkbar. Bei Sozialministerin Korinna Schumann – sie gilt in der Koalition als äußerst schwierige Kollegin – schmiss nun die Pressesprecherin mit jahrzehntelanger journalistischer Erfahrung hin.
Außenministerin Beate Meinl-Reisinger hat schon die zweite Pressesprecherin und soll laut "Heute"-Infos demnächst den Kabinettschef tauschen. Auch Pannen-Staatssekretär Sepp Schellhorn (sein für den Sommer angekündigter Reformplan lässt weiter auf sich warten) wechselte nach dem Audi-Gate im Kommunikationsteam. Bei der Leitung seines Büros steht dies ebenfalls an.
Neos-Kommunikationsleiter Nikola Donig wird neuer Generalsekretär des Europaforums Alpbach. Also dort, wo Außenministerin Meinl-Reisinger im Sommer im Ukraine-Dirndl posierte. Und die SPÖ angelte sich mit Susanne Moser-Guntschnig einen Profi für die Löwelstraße. Was sie wohl gut gebrauchen können ...
ALLE Hintergründe zu den Polit-Aufregern der Woche in unserem "Backstage"-Podcast (siehe oben).