Erziehung

Die "g'sunde Watsch'n" – Wie sie uns doch geschadet hat

Ein Klaps, eine Ohrfeige oder emotionale Gewalt: Seit 36 Jahren ist Gewalt in der Kindererziehung gesetzlich verboten. Mit gutem Grund.
Heute Life
04.10.2025, 15:15
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Eine Ohrfeige für die runtergestoßene Vase oder einen Schlag auf den Hinterkopf, weil Papa oder Mama einfach der Geduldsfaden reißt. Im Elternhaus erfuhren viele Kinder seinerzeit körperliche Gewalt. Und nicht nur dort. Auch in der Schule wurde mir dem "Rohrstaberl" gezüchtigt.

In Österreich sind Ohrfeigen und jede Form körperlicher Gewalt in der Erziehung seit dem 1. Juli 1989 gesetzlich verboten. Dieses Datum markiert das Inkrafttreten des Gewaltverbots in der Erziehung, das Kinder und Jugendliche vor körperlicher und seelischer Misshandlung schützt.

Wie Österreicher die "g'sunde Watsch'n" sehen

Dazwischen hat sich viel gerändert. So hat sich die Einstellung zu Gewalt in der Erziehung deutlich verändert und wird von einem Großteil der Bevölkerung abgelehnt. Eine Studie aus 2014 des Österreichischen Bundesministeriums für Familie zeigt, dass alle Formen der körperlichen Gewaltanwendung deutlich weniger akzeptiert sind, als im Vergleichszeitraum 1977: Schlagen mit der Hand (von 78 % abgelehnt, ein Zuwachs bei der Ablehnung gegenüber 1977 von 51 %), heftige Ohrfeigen (Ablehnung stieg um 34 %), leichter Klaps (Ablehnung nahm um 30 % zu).

Allerdings zeigt dieselbe Studie auch, dass Gewalt, die die Befragten selbst erlebt haben, ein zum Teil gegenteiliges Ergebnis bringt: So haben 62 % der Befragten körperliche Züchtigung durch einen leichten Klaps selbst erlebt. Hier war insgesamt eine Zunahme um 14 % im Vergleich zu 1977 zu beobachten.

Besonders zugenommen haben die Erziehungsmittel ohne körperliche Einwirkung. Dazu zählen längere Zeit nicht miteinander reden (plus 19 %), böse sein und tadeln (plus 25 %), schreien und schimpfen (plus 32 %).

Gravierende Folgen für Körper & Seele

Die deutsche Kinderpsychiaterin Sibylle Winter warnt, dass vermeintliche "Abhärtung" durch Stress oder emotionale Gewalt gravierende Folgen haben kann – nämlich dauerhafter Stress, der Körper und Gehirn schädigt, bestimmte Hirnfunktionen können sich zurückbilden. Besonders betroffen ist der auditive Kortex, der sich bei regelmäßigem Anschreien oder Demütigungen verändern kann. Auch wichtige Verbindungen im Gehirn werden geschädigt, wodurch Kinder ihre Gefühle schlechter kontrollieren können. "Dann kann ein Kind, wenn es sich ärgert oder Wut hat, nicht mehr wirklich vernünftig überlegen, sondern schlägt einfach zu", sagt Winter. Langfristig leidet zudem die charakterliche Entwicklung: Selbstbewusstsein wird gehemmt, Kinder fühlen sich verunsichert – etwa durch abwertende oder drohende Aussagen der Eltern.

"Klaps" für 36 % der Deutschen harmlos

Eine diesjährige Umfrage des deutschen Uniklinikums Ulm mit Unicef zeigt, dass körperliche Gewalt in der Erziehung zwar abnimmt, aber noch immer verbreitet ist: 36,9 % halten einen "Klaps" für harmlos, 17,1 % befürworten eine "leichte Ohrfeige" und 5,4 % eine "Tracht Prügel". Besonders Ältere sind eher dafür, doch insgesamt ist ein klarer Rückgang erkennbar.

„Dann kann ein Kind, wenn es sich ärgert oder Wut hat, nicht mehr wirklich vernünftig überlegen, sondern schlägt einfach zu“
Sibylle WinterKinder- und Jugendpsychiaterin

Wohnsituation und finanzielle Lage beeinflussen Erziehung

Laut Alexandra Langmeyer, Forscherin am Deutschen Jugendinstitut, hängt die Erziehungskompetenz von Eltern oft mit ihren eigenen Lebensumständen zusammen. Belastungen wie Stress, finanzielle Sorgen oder beengter Wohnraum führen dazu, dass Eltern schneller ungeduldig werden und weniger gelassen reagieren. Besonders während der Corona-Pandemie zeigte sich, dass die Wohnsituation für viele Familien eine zentrale Belastung darstellte. Eltern in belasteten Familien fehlt oft ein Rückzugsort, sodass sie ihre eigenen Bedürfnisse vernachlässigen und etwa im Wohnzimmer schlafen. Dies erhöht ihre Belastung, mindert die Erholung und wirkt sich negativ auf ihr Verhalten gegenüber den Kindern aus.

Langmeyer betont, dass Eltern gestärkt werden sollten und früh ein Bewusstsein für gute Erziehung entwickeln müssen – idealerweise schon vor der Geburt, etwa durch Elternkurse. Kinderpsychiaterin Sibylle Winter fordert mehr Präventionsarbeit: Eltern sollten verstehen, wie schädlich Gewalt ist, und lernen, die Perspektive ihrer Kinder einzunehmen, statt nur deren Anpassung an die Erwachsenenwelt zu erwarten.

{title && {title} } red, {title && {title} } 04.10.2025, 15:15
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