Die leise-laute Stimme der SPÖ empfäng "Heute" im Landeshauptmann-Büro in Eisenstadt. Das weiße Hemd ist aufgekrempelt; Hans Peter Doskozil trinkt Grapefruit-Zitronen-Limo und Cappuccino. Die "galoppierenden Preise" will er im Herbst "massiv aufgreifen", einen eigenen Mietpreisdeckel im Burgenland einführen: "Ich werde da im Burgenland nicht zuschauen."
Mit der Bundesregierung geht er im großen "Heute"-Interview hart ins Gericht: Der Mietpreisdeckel gehe "am Thema vorbei", das Land verändere sich aufgrund der Zuwanderung schleichend. Hier habe sich seine Partei, die SPÖ, weggeduckt, "weil man Angst vor links-romantischen Träumern hat".
"Heute": Herr Landeshauptmann, die Inflation ist in Österreich weiter sehr hoch, nur jeder Fünfte traut der Regierung laut aktueller "Heute"-Umfrage eine Lösung zu. Ist das nicht ein Armutszeugnis?
Hans Peter Doskozil: Auf Wahlplakate zu schreiben: "Arbeit muss sich lohnen", "Mieten müssen sinken", "Reformen bei Gesundheit und Bildung" – das ist das Bild, das die Politik in den letzten Jahren abgegeben hat. Passiert ist nichts. Ich will das gar nicht auf die Sozialdemokratie fokussieren, wo wir in Verantwortung sind – etwa im Burgenland – greifen wir aktiv ein.
Auch auf Bundesebene gibt es jetzt einen Mietpreisdeckel.
Naja, was dort jetzt als Errungenschaft verkauft wird, ist in Wahrheit am Thema vorbei. Nämlich, dass die Mieten "nur" um drei Prozent steigen dürfen und darüber hinaus die Inflation geteilt wird. Die Mieten steigen so rapid, da frage ich mich jeden Tag: Wie sollen sich die Menschen das leisten können? Es geht ans Eingemachte, wenn man die galoppierenden Preise sieht. Die Leute erwarten sich eine Lösung von der Politik. Wir greifen das Thema im Burgenland jetzt im Herbst massiv auf und ich möchte dann persönlich daran gemessen werden, wie wir einen wirksamen Mietpreisdeckel im Vergleich zum Bund umgesetzt haben.
Kommt im Burgenland etwas über die Bundeslösung hinaus?
Es muss etwas darüber hinaus kommen. Wenn Wohnungen mit 50-60 Quadratmetern 800-900 Euro kosten, dann verstehe ich die Welt nicht mehr. Da reden wir längst nicht mehr von einem Eigenheim, sondern einer banalen Mietwohnung. Die Preisentwicklungen stehen längst nicht mehr in Relation zum Lohnsektor. Da werde ich im Burgenland nicht zuschauen.
Haben Sie Verständnis für Wirtschaftsvertreter, die jetzt zu Lohnzurückhaltung aufrufen?
Ich verstehe, dass auch die Wirtschaftstreibenden in einer schwierigen Situation sind. Es ist ein Henne/Ei-Problem. Es wird beides brauchen: vernünftige Wirtschaftsförderung und entsprechende Löhne. Denn wer soll konsumieren, wenn sich die Menschen das Leben nicht mehr leisten können, weil wir die Löhne drücken?
„Die Preisentwicklungen stehen längst nicht mehr in Relation zum Lohnsektor. Da werde ich im Burgenland nicht zuschauen.“Hans Peter DoskozilLandeshauptmann Burgenland
Ein Drittel der Pensionisten bekommt heuer nicht die volle Inflationsabgeltung. Wie hoch ist der Preis, den Ihre Partei da in der Koalition mit ÖVP und Neos bezahlen muss?
Das sieht man jetzt schon in den Umfragen, in denen die SPÖ unter die 20-Prozent-Marke gerutscht ist. Ich will jetzt nicht wieder in eine Diskussion über die SPÖ auf Bundesebene einsteigen, aber es zeigt sich jetzt, wovor ich gewarnt habe: Wohin es für die SPÖ geht, wenn wir keine passenden Antworten auf die Fragen der Zeit haben – und die schlechten Umfragen sind nicht nur der schlechten wirtschaftlichen Lage geschuldet …
Welche Ursachen orten Sie?
Erstens: Ich habe klargemacht, dass ich es für völlig falsch halte, bei den Pensionisten zu sparen. Ich höre aber auch nichts mehr zur Bekämpfung des Ärztemangels. Ich höre nichts mehr davon, wie wir Wahlarzt-Ordinationen zurückdrängen. Ich höre nichts, wie wir dem Pflegekräftemangel begegnen oder unsere Spitäler finanzierbar halten. Diese großen Themen, die am Tisch liegen, werden nicht angegriffen.
Soll der – sehr hohe – Abschluss der Beamtengehälter nochmals aufgeschnürt werden, um dringend nötige Einsparungsziele zu erreichen?
Ich bin ein Mensch, der sich an Regeln hält, für Verlässlichkeit eintritt. Wenn ich Abschlüsse gemacht, Verträge geschlossen habe und das dann revidieren möchte, gefällt mir das nicht. Dann muss ich in Zukunft etwas anders machen, aber Verträge sind einzuhalten. Die Menschen verlieren sonst das Vertrauen in die Politik gänzlich. Wenn die zwei Verhandlungspartner nochmals Gespräche führen, ist das aber auch zu respektieren.
Sie geben im Burgenland auch sehr viel Geld aus …
… zum Beispiel?
Für den Mindestlohn, den Mietpreisdeckel, neue Spitäler, den Gratis-Kindergarten.
Der Mietpreisdeckel ist ausgelaufen und wird neu aufgesetzt. Das Spital in Oberwart ist abbezahlt. Der Anteil des Mindestlohns am gesamten Lohnsektor ist überschaubar. Wir können ihn uns leisten und er steht den Menschen auch zu!
Ich wollte eigentlich ohnedies meine Frage zu Ende stellen: Wie steht es um die Finanzen des Burgenlands?
Ich verantworte jetzt das achte Budget. Es hat immer funktioniert, es wird auch in Zukunft funktionieren. Die Kritik der Opposition – vielfach überzogen, oft unter der Gürtellinie – hat es immer gegeben. Das muss man wohl hinnehmen, es ist die Aufgabe der Opposition.
„Wenn man wichtige Kompetenzen an den Bund abtritt, wird man zum Frühstücksdirektor. Dafür bin ich nicht zu haben.“
Es gibt derzeit einen Streit um Gastpatienten mit Wien, für die künftig längere Wartezeiten gelten sollen. Verstehen Sie den Ärger in der Hauptstadt über die hohen Zusatzkosten?
Man muss hier die Gesamtsituation beurteilen. Wien erhält schon jetzt höhere Anteile aus den 15a-Vereinbarungen mit dem Bund. Und: Als Wien das flächendeckende Parkpickerl ausgerufen hat und viele Burgenländer ihren Hauptwohnsitz nach Wien verlegt haben, haben wir auch keine Staatstrauer ausgerufen. Wir haben zwar sämtliche Ertragsanteile verloren, viele dieser Pendler sind aber Wohn-Burgenländer geblieben und wir müssen die Infrastruktur in den Gemeinden für sie liefern. Insofern macht es sich Wien schon einfach, wenn es sagt: Jeder Flüchtling bekommt Spitzenmedizin, aber die Burgenländer, die Steirer, die Niederösterreicher, die Wien mitaufgebaut haben, nicht mehr.
Sind Sie bereit, bei einem "Ost-Gipfel" mit Wien und Niederösterreich eine gemeinsame Lösung zu suchen?
Gespräche verweigern wir nie, wenngleich ich glaube, dass eine Lösung beim nächsten Finanzausgleich erfolgen wird müssen. Die Verhandlungen sollten aber nicht wieder wie auf einem Basar ausgetragen werden, sondern mit einem neutralen Schiedsrichter. Da plädiere ich für den Verfassungsgerichtshof.
Werden Wiener Gastpatienten im Burgenland weiterhin gleichbehandelt wie Burgenländer?
Sie sind niemals anders behandelt worden.
Aus der Bundesregierung kommen Signale, dass der Bund gerne Gesundheits- und Bildungsagenden übernehmen würde. Wie stehen Sie dem gegenüber?
Sehr, sehr kritisch.
„Wir haben eine christliche Tradition, aber das Land verändert sich in einem schleichenden Prozess, wenn Zuwanderung weiter in diesem Ausmaß stattfindet.“
Warum?
Wir haben eine missliche Lage bei der Spitäler-Finanzierung. Ich höre aus einzelnen Bundesländern, dass sie gar nicht abgeneigt sind, diese Kompetenz Richtung Bund zu verschieben. Wenn ein Landeshauptmann dem Bund diese zugesteht, akzeptiert er, dass der Bund entscheidet, ob Spitäler geschlossen werden oder nicht. Man kann davon ausgehen, dass Standorte geschlossen werden, wenn man sparen will. Ich möchte als Landeshauptmann keinesfalls dafür verantwortlich sein, dass ein Spital im Burgenland geschlossen wird.
Gibt es eine Garantie für alle fünf Standorte?
Sie sind in Stein gemeißelt. Wenn ich diese Verantwortung nach Wien abgeben würde, wäre ich ein schlechter Politiker. Vielleicht auch noch die Bildungsagenden? Nein, dann wird man zum Frühstücksdirektor, der Feste eröffnet und Grußworte spricht. Dafür bin ich nicht zu haben.
10 Jahre nach "Wir schaffen das" sind 500.000 Zuwanderer aus Syrien und Afghanistan nach Österreich zugewandert. Teils gibt es große Integrationsprobleme. Wie kann man diesen begegnen?
Man muss das nächste Kapitel aufschlagen. Und dieses ist: Wohin wollen wir uns als Gesellschaft entwickeln? Ich verfolge die Diskussion um Laternenfeste, das Kreuz in der Schule, in Deutschland gibt es schon einen Ramadan-Kalender. Wir haben eine christliche Tradition, aber das Land verändert sich in einem schleichenden Prozess, wenn Zuwanderung weiter in diesem Ausmaß stattfindet. Ich finde, die Bevölkerung hat das Recht, darüber zu entscheiden, ob sie das will oder nicht.
Wie soll das gehen?
Wir müssen den Diskurs mit der Bevölkerung führen und dann dem Willen entsprechen. Ich glaube, dass die Zeit reif dafür ist, dass wir darüber sprechen, ob wir diese gesellschaftliche Veränderung wollen oder nicht.
„Die SPÖ hatte Angst vor links-romantischen Träumern. Das ist ein gutes Beispiel, warum wir jetzt dort herumdümpeln, wo wir herumdümpeln.“
Derzeit gibt es nur eine Partei, die das offen anspricht.
Aber auch nicht unter dem Aspekt der Kirche.
Herbert Kickl hat in seiner Parteitagsrede den Apostel Paulus zitiert.
Er hat das jetzt offensichtlich entdeckt. Aber der FPÖ kann man historisch gesehen sicher nicht zuschreiben, das Thema Kirche und christliche Werte vertreten zu haben.
Die SPÖ aber auch nicht.
Vielleicht. Aber ich bin dafür, jetzt den Diskurs mit der Bevölkerung und Kirche zu führen.
Herr Landeshauptmann, ist die SPÖ bei dem Thema nicht immer nur zweiter Sieger?
Wenn wir das nicht aufgreifen, weil es ein unangenehmes Thema für die Sozialdemokratie ist, sagen wir immer: Geht’s zum Schmied und nicht zum Schmiedl.
Warum ist die SPÖ nicht mehr der Schmied in dieser Frage?
Weil wir nicht den Mut hatten, die Ansichten, die auch in der SPÖ Mehrheitsmeinung sind, in der Öffentlichkeit zu artikulieren. Weil man Angst vor links-romantischen Träumern hat, die dann aufschreien. Das ist ein gutes Beispiel, warum wir jetzt dort herumdümpeln, wo wir herumdümpeln.
Die Bundesregierung will die Sozialhilfe jetzt neu regeln. Was könnte denn bei dem emotional diskutierten Thema ein gangbarer Weg sein?
Es gibt den Vorschlag, zwei Kategorien zu schaffen – volle Sozialhilfe erst nach drei Jahren in Österreich. Das wäre gar nicht so schlecht, wenn es verfassungsrechtlich durchführbar ist. Man muss überbordende Beispiele in den Griff bekommen, aber ich sage schon: Bei uns treffen wir zu 90 Prozent Burgenländerinnen und Burgenländer an der Armutsgrenze, die in der Vergangenheit Leistungen für die Gesellschaft erbracht haben. Daher muss man mit dem Thema sehr behutsam umgehen.
Wie viele Asylwerber gibt es im Burgenland in der Grundversorgung?
Wir setzen im Burgenland auf klare Rahmenbedingungen in der Grundversorgung. Aktuell sind bei uns 1.713 Personen in der Grundversorgung – davon 1.360 Vertriebene aus der Ukraine und 353 Asylwerber. Für Asylwerber gilt eine jährliche Obergrenze von 330 Neuaufnahmen, heuer wurden bisher 124 aufgenommen. Außerdem koppeln wir die Grundversorgung im Burgenland an gemeinnützige Arbeit. Für arbeitsfähige Asylwerber, die Arbeitsangebote zweimal verweigern, werden die Leistungen aus der Grundversorgung eingestellt.
Herbert Kickl hat sie als "Kim Jong Doskozil" bezeichnet, also mit einem Diktator und Massenmörder verglichen. Tut Ihnen die Kritik weh?
Es gibt mir die Bestätigung, dass wir offenbar vieles richtig machen. Die Polarisierung wird aber auch auf Sympathisanten übertragen und spaltet die Bevölkerung. Persönlich bin ich nicht beleidigt, sondern eher froh, dass sie so sind, wie sie sind. Die Bevölkerung will nicht, dass Politik auf so einem Niveau stattfindet. Die Wahlergebnisse geben uns recht.
„SPÖ-TV wird der Renner werden …“
Herbert Kickl liegt bei 33 Prozent in Umfragen.
Bei dieser Regierung als Gegenüber, ist Kickl mit 33 Prozent schwach. Die FPÖ könnte schon bei 40 Prozent liegen.
Die SPÖ startet jetzt einen eigenen TV-Kanal. Wurde Ihnen schon eine Sendung offeriert?
Ich habe das zufällig gelesen, ich hätte das sonst gar nicht gewusst. Dementsprechend: nein.
Kann das die SPÖ wieder nach vorne bringen?
Massiv. Das wird der Renner werden …