In seinem ersten Zeitungsinterview nach dem Wahlsieg im Herbst und den gescheiterten Koalitionsverhandlungen mit der ÖVP spricht Herbert Kickl in "Heute" über den Start der Dreier-Regierung, das milliardenschwere Sparpaket und wie er doch noch Bundeskanzler werden möchte. Dass er selbst Kürzungen bei den Pensionen zugestimmt habe, bestreitet der FPÖ-Chef vehement.
Die ÖVP sage die Unwahrheit und werde sich nach Neuwahlen "fügen". Der Regierung droht er "die ultimative Abrechnung" an.
"Heute": Herr Klubobmann, die FPÖ ist nach der Wahl stärkste Kraft im Parlament. Aber was ist das alles wert, wenn man das Land nicht gestalten kann?
Herbert Kickl: Sie unterliegen da einer Fehleinschätzung, wenn Sie meinen, dass jemand automatisch gestaltet, wenn er in einer Regierung ist. Wir erleben seit einigen Wochen das Gegenteil. Es wird weitergewurschtelt wie bisher.
Aber in der Opposition können Sie gar nichts gestalten.
Man kann in der Opposition sehr viel bewegen. Das haben wir in der Vergangenheit bewiesen, Stichwort Corona. Es gibt viele parlamentarische Möglichkeiten, die wir jetzt – gestärkt – noch besser zum Einsatz bringen können. Natürlich wäre die bevorzugte Variante gewesen, aus der Regierung heraus Verantwortung für dieses Land zu übernehmen und zu gestalten. Aber wenn es den Koalitionspartner dafür nicht gibt, weil jemand einer totalen Blockade-Mentalität verfallen ist und nicht bereit ist, auch nur in irgendeiner grundsätzlichen Frage umzudenken, dann ist der Eintritt in eine Regierung nichts wert, dann ist das ein Titel ohne Mittel und dann verzichte ich lieber darauf. Das war das Modell der ÖVP.
Die ÖVP bezeichnet Sie als "Will nicht"-Kanzler. Haben Sie die Verantwortung leichtfertig aufgegeben?
Ich habe mir das sehr genau überlegt, aber das Modell, das der ÖVP vorschwebt, hat für mich nichts mit Regieren zu tun. Wenn man glaubt, dass man mich mit der Kanzlerkarotte locken kann, aber dann gleichzeitig ein Paket schnüren will, wo es inhaltlich so gut wie gar keine Möglichkeiten für die Entwicklung einer freiheitlichen Handschrift gibt, dann verzichte ich auf dieses Projekt. ÖVP und SPÖ haben anderes Politikverständnis. Da ist der Posten wichtiger als die Position.
Warum haben Sie derart vehement auf dem Innenministerium bestanden?
Wir haben eine sehr, sehr negative Entwicklung im gesamten Asyl- und Sicherheitsbereich. Österreich ist weit davon entfernt, eine Insel der Seligen zu sein. Und die Wähler haben die Freiheitliche Partei mit der Kernkompetenz Sicherheit und Asyl zur stimmenstärksten Partei gemacht. Es ist nicht vermessen, daraus abzuleiten, dass der Wählerwille dann auch der Wunsch nach einer Veränderung in der Führung des Ressorts, das diese Bilanz zu verantworten hat, gewesen ist. Das hätte bedeutet, dass es einen freiheitlichen Innenminister geben muss. Mit dieser Forderung bin ich in die Verhandlungen gegangen. Das kann die ÖVP nicht überrascht haben.
Was würde die FPÖ besser machen als die regierende ÖVP?
Wir haben unser Konzept mit der Festung Österreich vorgestellt. Wenn man es richtig macht, kann man sehr viel Leidensdruck von der österreichischen Bevölkerung wegnehmen und Dinge zum Guten verändern.
Geworden ist es am Ende eine Regierung aus ÖVP, SPÖ und Neos. Wie fällt Ihre Bilanz nach zwei Monaten aus?
Ich suche die ganze Zeit den rot-weiß-roten Faden. Aber da kommt – bis auf ein paar versprengte Einzelaktionen – nichts. Es ist ein "Weiter wie bisher" und ein "Wie wälze ich den gigantischen Schaden, den wir angerichtet haben, auf die Bevölkerung ab?". Vision, Plan, Menschen- und Gesellschaftsbild dieser Regierung fehlen völlig.
„Was die Regierung macht, ist, wie wenn ein Arzt einen gesunden Patienten halb ins Grab bringt und dann sagt: Jetzt bin ich der Notfallmediziner, der dich wieder fit macht.“Herbert KicklKlubobmann (FPÖ)
Die Regierung wird jetzt einwenden, das Land nach dem desaströsen Budgetloch wieder aufzubauen…
Unglaublich vermessen! Das ist, wie wenn ein Arzt einen gesunden Patienten zunächst zugrunde richtet, halb ins Grab bringt und dann sagt: Jetzt bin ich der Notfallmediziner, der dich wieder fit macht.
Sie sprechen die ÖVP an?
Ich spreche die Einheitsparteien an. Die Budget- und Wirtschaftssituation ist durch katastrophale politische Fehlentscheidungen entstanden. Mit einer "Wir schaffen das"-Mentalität im Bereich der Zuwanderung ins Sozialsystem. Mit einem Wahnsinnskurs in der Corona-Politik. Durch Hineinsteigern in den Klimakommunismus – alles trotz der Warnungen der FPÖ. Vor der Wahl hat man die Bilanz noch geschönt – im Wirtschaftsbereich würde man von Bilanzfälschung sprechen. Fakt ist: Die Wirtschaftslage ist desaströs. Österreich wird das dritte Jahr in Folge ärmer.
„Was wir da seit 2015 an Milliarden versenkt haben – und jetzt fallen die Einsparungen unseren Pensionisten auf den Kopf...“
Dennoch leistet sich Österreich die teuerste Regierung aller Zeiten mit den meisten Kabinettsmitarbeitern. Wie kann man das der Bevölkerung erklären?
Das kann man nicht erklären. Da ist eine Politikerkaste am Werk, die überhaupt kein Gespür für die Lebenssituation der Bevölkerung mehr hat. Wenn ich von der Bevölkerung Einschnitte verlange, dann muss ich auch in meinem eigenen Verhalten Vorbild sein – und seien es auch nicht die größten Beträge. Dienstautos sind ein klassisches Beispiel für so etwas. Und man muss auch nicht jedes Society-Event besuchen.
Deregulierungsstaatssekretär Sepp Schellhorn war ein Audi A6 zu minder, er fährt nun A8…
Ich bin kein Hüne, aber Herr Schellhorn ist auch keiner. Wenn er argumentiert, er brauche einen größeren Wagen mit mehr Fußfreiheit für seine Fahrten durch das ach so große Österreich, dann weiß jeder, was er davon zu halten hat. Herr Schellhorn hat mehr Geltungs- als Gestaltungsdrang.
Ich würde mit Ihnen gerne über die Pensionen sprechen. Sie kritisieren die Einschnitte hart, haben aber dieses Paket selbst mitverhandelt. Es wurde mit Ihrer Unterschrift nach Brüssel geschickt.
Das stimmt nicht – wie das Allermeiste, das die ÖVP behauptet. Sie hat ja auch den Familiennachzug nicht gestoppt. Das Interessante ist ja, dass die ÖVP diese Liste nie vorlegt. Was wir nach Brüssel geschickt haben, war der Lückenschluss in der Krankenversicherung. Uns wären Beiträge von jenen vorgeschwebt, die in Österreich in der Mindestsicherung leben, obwohl sie noch nie etwas für dieses Land geleistet haben, aber eine "All-inclusive"-Krankenversicherung bekommen. Inländerdiskriminierung! Wir wollten den Zugang für Asylanten zur Mindestsicherung kappen. Wenn ich keine Zuwanderung ins Sozialsystem haben will, darf ich keine Anreize setzen. Da war mit der ÖVP kein gemeinsamer Weg zu finden.
Sie würden die Mindestsicherung nur an Staatsbürger auszahlen?
Ich habe das immer so gesagt. Was wir da seit 2015 an Milliarden versenkt haben – und jetzt fallen die Einsparungen unseren Pensionisten auf den Kopf. Gerade die, die kleine Pensionen haben, trifft die Erhöhung der Krankenversicherungsbeiträge voll. Da muss man die SPÖ, die vor unsozialer Politik gewarnt hat, als wir mit der ÖVP zu verhandeln begonnen haben, fragen: Wie ist das jetzt?
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Das heißt: Zugewanderte nur in der Grundversorgung unterbringen?
Ja, und auf Sachleistungen reduzieren.
Geben Sie der Regierung fünf Jahre?
Ich hoffe es nicht. Jeder Tag früher, an dem es dieses Ampel-Konstrukt zerreißt, wäre ein gewonnener Tag für Österreich. Und wann immer diese Ampel dann endet, wird es zur ultimativen Abrechnung kommen.
„Die ÖVP wird sich fügen.“
Ich habe schon bei Ihrer Rede in Linz vernommen, dass "der Volkskanzler fix kommen wird". Was macht Sie so sicher, dass es beim nächsten Mal klappt?
Ich habe der ÖVP immer gesagt: Wir brauchen einen neuen Kurs. Dann habe ich gehört, dass das vermessen sei, denn zwischen FPÖ und ÖVP liegen nur drei Prozent. Das hat mich motiviert und ich habe gesagt: Gut, dann machen wir halt aus den drei Prozent einen deutlich größeren Abstand. In Umfragen nach der Wahl haben wir gesehen, dass wir ein Potenzial haben, dass dann der 4er vorne steht.
Und dann glauben Sie, dass die ÖVP alle Ihre Forderungen akzeptiert?
Die ÖVP wird dann erkennen, dass mit ihrem Kurs nichts mehr zu gewinnen ist und sich fügen.
Vorerst wird – nach Plan – längere Zeit nicht gewählt. 2028 dann in Kärnten. Wäre es für Sie interessant, in Ihrer Heimat anzutreten?
Ehrlich gesagt, habe ich darüber noch nicht nachgedacht. Kärnten wird immer meine Heimat sein und es ist immer eine schöne Erinnerung für mich. Ich habe dort viele, viele erfolgreiche Jahre an der Seite von Jörg Haider verbringen und dort viel lernen dürfen. Eine Planung in diese Richtung gibt es zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht.
Auszuschließen ist es nicht?
Auszuschließen ist in der Politik sehr, sehr wenig.
Sie haben am Dienstag gleich 827 Anfragen an die Ministerien zur Corona-Zeit eingebracht, drohen damit die Verwaltung lahmzulegen. Nur ein PR-Gag oder ist dieses Ausmaß Ihrer Meinung nach wirklich nötig?
Dieser Regierung ist Corona keinen Halbsatz wert, also nützen wir die Möglichkeiten, die die Opposition hat. Das wird sich die Regierung also gefallen lassen müssen.
Sie ziehen also keine Anfragen zurück?
Aber sicher nicht. Im Gegenteil: Wir werden uns genau ansehen, was da an Antworten kommt, vergleichen und schauen, wo sich diese Herrschaften widersprechen. Dann wird es richtig unangenehm für die Regierung.
„ORF-Haushaltsabgabe? Ich bin ein Abbuchungsfall, aber ich werde das jetzt reparieren.“
Sie wollten die ORF-Haushaltsabgabe kippen. Jetzt bleibt sie fix bis 2029. Haben Sie schon einbezahlt?
Ich bin ein Abbuchungsfall, aber ich werde das jetzt reparieren.
Das heißt, Sie werden nicht mehr zahlen?
Nein, ich bin nicht nur selten zu Gast, ich schaue es mir auch nicht an.
Weil Ihnen nicht gefällt, was berichtet wird?
Mir gefällt vor allem die Mentalität nicht, dass man Privilegien in Anspruch nimmt und sich gleichzeitig zum Propaganda-Instrument eines Systems machen lässt – von Unabhängigkeit und Gleichberechtigung eigentlich nichts wissen will.
Der ORF erlöst nicht nur knapp 700 Millionen Euro aus der Haushaltsabgabe, sondern bekommt auch mit Abstand die meisten Regierungsinserate. Im Vorjahr waren das 29 Millionen Euro. Sollte der öffentlich-rechtliche Rundfunk werbefrei sein?
Ich halte das aktuelle Mischsystem für bedenklich. Da ist jemand in alle Richtungen privilegiert. Aus meiner Sicht ist das ein unzulässiger Wettbewerbsvorteil. Und wenn der ORF seine Auflagen – Objektivität und Unabhängigkeit – nicht erfüllt, fällt aus meiner Sicht jede Berechtigung weg, dieses Privileg zu haben.
In Deutschland wurde die AfD als gesichert rechtsextremistisch eingestuft, die nächste Regierung muss entscheiden, ob sie verboten wird. Sie pflegen enge Kontakte zur AfD und Ihrer Vorsitzenden. Fürchten Sie, dass der FPÖ Ähnliches droht?
Nein, weil ich an unsere Demokratie glaube und weil ich weiß, dass wir die Bevölkerung hinter uns haben.
Herr Klubobmann, danke für das Gespräch.