Das Urteil des Wiener Landesgerichts im brisanten Missbrauchsfall Anna-Sophia* sorgte am Freitag für Fassungslosigkeit im ganzen Land. Eine Jugendbande soll 2023 über Monate hinweg wiederholt ein damals zwölfjähriges Mädchen in Favoriten sexuell missbraucht zu haben. Alle zehn Angeklagte, heute 16 bis 21 Jahre alt, wurden überraschend freigesprochen. Das Urteil ist nicht rechtskräftig.
"Das Beweisverfahren hat ganz klar zu Freisprüchen geführt", so der vorsitzende Richter. Die Aussagen des Mädchens zu den sexuellen Kontakten mit den Angeklagten vor der Polizei und später im Rahmen einer kontradiktorischen Befragung seien "mit so vielen Widersprüchen" behaftet gewesen, "dass es nicht möglich war, zu einem Schuldspruch zu kommen". Eine Verurteilung sei damit unmöglich gewesen, erläutert er gegenüber der APA.
Der Rat rechnete zudem ausführlich mit der medialen Berichterstattung in diesem Fall ab, die er "sehr bedauerlich" nannte und als in Teilen falsch geißelte. Es seien Sachen berichtet bzw. behauptet worden, die sich nicht mit den Ermittlungsergebnissen gedeckt hätten. Das habe sich "zu Ungunsten der Angeklagten und des Opfers" ausgewirkt.
Die Entscheidung des Schöffensenats, bestehend aus zwei Berufs- und zwei Laienrichtern, ist schwer nachzuvollziehen. Vor allem, da das Gericht aufgrund des Opferschutzes keine Details aus maßgeblichen Teilen der Beweisaufnahmen, jene die unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfanden, bekanntgeben darf und es somit enormen Raum für Spekulationen gibt.
Die Emotionen schlagen nach dem vermeintlichen "Skandalurteil" jedenfalls hoch und der Volkszorn richtet sich offenbar auch gegen den vorsitzenden Richter. Dieser wird sogar persönlich angefeindet. Das Oberlandesgericht Wien spricht von "Beschimpfungen und Drohungen" gegen den Juristen und dessen Familie.
"Derartige Diffamierungen oder gar persönliche Angriffe gegen den vorsitzenden Richter sind inakzeptabel", stellt OLG-Präsidentin Katharina Lehmayer in einer Medienmitteilung am Donnerstag unmissverständlich klar.
Sie nimmt auch Medien in die Pflicht. Es seien "Mutmaßungen, individuelle Spekulationen und persönliche Einschätzungen" in der Berichterstattung und insbesondere in den Sozialen Medien transportiert worden, was die Stimmung noch weiter aufgeheizt habe.
Lehmayer dazu: "Die Justiz misst dem Recht auf freie Meinungsäußerung und kritischem Journalismus größte Bedeutung zu. Falsche Berichterstattung gefährdet jedoch das Vertrauen in die Justiz und damit den Rechtsstaat."
Die Gerichtspräsidentin betonte gleichzeitig, dass die Richter an die Grundsätze der Strafverfahren gebunden seien:
Das Justizministerium hat die Staatsanwaltschaft angewiesen, Nichtigkeitsbeschwerde gegen die Freisprüche einzulegen. Der Fall Anna-Sophia wandert somit an den Obersten Gerichtshof. Der Ausgang ist ungewiss, fix ist aber etwas anderes: Es wird politische Konsequenzen geben.
Justizministerin Anna Sporrer will nun umgehend das Sexualstrafrecht reformieren und das Zustimmungsprinzip "Nur Ja heißt Ja" gesetzlich verankern.
*Name von der Redaktion geändert.