Russische "Mad Max"-Angriffe

"Könnte sehr schnell gehen"! Reisner mit Ukraine-Schock

Österreichs bekanntester Ukraine-Beobachter Oberst Markus Reisner lässt mit einer düsteren Analyse aufhorchen.
Roman Palman
01.07.2025, 15:03
Loading...
Angemeldet als Hier findest du deine letzten Kommentare
Alle Kommentare
Meine Kommentare
Sortieren nach:

Kommentare neu laden
Nach oben

Nur ein Blinken, eine Spiegelung der Sonne in einer Scheibe oder eine kleine Staubwolke reichen und schon bricht die Drohnenhölle los! "Entlang der gesamten Frontlinie gibt es eine Art 'Todeszone', links und rechts der Front etwa bis zu 20 Kilometer breit", schildert Oberst Markus Reisner die prekäre Lage in der Ukraine gegenüber "ntv". Dieses Gebiet sei vollständig unter Kontrolle von Drohnen beider Seiten. "Kein großer Verband würde es schaffen, da durchzubrechen".

Teils versuchen die Russen ihr Glück nun auf Motorrädern oder in zivilen Fahrzeugen. "Das sind oft kleine, umgebaute Lieferwagen oder Zivilfahrzeuge, Buchankas oder Schigulis genannt. Mit denen fahren die Russen im 'Mad Max'-Stil herum und versuchen, zwischen den ukrainischen Stützpunkten hindurch hinter die Linie zu kommen."

"Man kämpft rücksichtslos, ohne Mitleid."

Die meisten von Wladimir Putins Soldaten müssen aber zu Fuß gegen die feindlichen Stellungen vorrücken. Ein einzelner Soldat habe zwar aufgrund des geringeren Profils zwar viel bessere Überlebenschancen, doch bleiben diese höllisch niedrig! "Auch für die Infanteristen ist [der Drohnen-]Einsatz absolut lebensgefährlich. Dadurch kommen die hohen Verlustzahlen auf russischer, aber auch auf ukrainischer Seite zustande", weiß Reisner.

Das sei ein entscheidender Unterschied in der Mentalität der russischen Generalität gegenüber westlichen Armeen. Diese würden immer noch den Militärtheorien von Alexander Swetschin († 1938) anhängen und auf die Größe Russlands selbst setzen: "Wenn es nicht gelingt, zu Kriegsbeginn den entscheidenden Schlag auszuführen, setzen wir auf Abnutzungskrieg."

"Wir haben ein ganz anderes Mindset", erklärt Reisner die westliche Sicht. Bundesheer und anderen westlichen Armeen würden stets versuchen, die Verluste unter den eigenen Soldaten so gering wie möglich zu halten. "Dieses Ansinnen sehen wir auf der russischen Seite kaum oder gar nicht. Man kämpft rücksichtslos, ohne Mitleid."

Unzählige Tote, um Panzer zu schonen

Mindestens 111.387 eigene Soldaten hatte Putin so bis Anfang Juni 2025 schon in den sinnlosen Tod an der Front geschickt. Das geht aus einer Zählung von öffentlich einsehbaren Todesmeldungen und Nachrufen durch das russische Portal "Mediazona" hervor. Die Dunkelziffer dürfte deutlich höher sein.

Dass die eigenen Menschenleben dem Kreml nichts wert sind, hat einen anderen, bedrohlichen Nebeneffekt. Panzer und anderes großes Gerät kommen derzeit kaum zum Einsatz, werden dadurch geschont – und gleichzeitig von Putins Rüstungsindustrie in großen Stückzahlen nachproduziert.

Oberst Markus Reisner leitet seit 1. März 2024 das Institut für Offiziersausbildung an der Theresianischen Militärakademie in Wiener Neustadt.
Bundesheer/Kristian Bissuti

Dadurch können dezimierte Verbände wieder neu ausgestattet oder auch gänzlich neue Verbände aufgestellt werden, um bei einer möglichen Sommer-Offensive erneut einen großen mechanisierten Durchbruch zu wagen. Die bittere Realität für die Ukrainer: "Die russischen Streitkräfte regenerieren sich."

Die Folgen sind laut Reisner potenziell katastrophal: "Ich rechne damit, dass die Russen das große Gerät bewusst zurückhalten und damit neue Formationen aufstellen, um in einem entscheidenden, schwachen Moment der Ukrainer einen möglichen Durchbruch zu erzielen, eine Art Befreiungsschlag in der Sommeroffensive." Das hatten Putins Generäle bereits 2024 erfolglos probiert, doch mittlerweile seien die ukrainischen Stellungen noch schwächer besetzt.

"Wenn es den Russen gelänge, aus der ständigen Beobachtung ukrainischer Drohnen herauszukommen und in ein großräumiges Manöver zu kommen, dann könnte es sehr schnell gehen. Ich muss aber neuerlich wiederholen: Bislang hat das nicht geklappt, weil die Ukraine so stark gegengehalten hat."

"Dann geht der elende Abwehrkampf weiter"

Für die Ukrainer werde die Abwehr aber zunehmend schwieriger, "weil sie sich von einem Hilfspaket zum nächsten hangeln muss und nie wirklich verlässliche strategische Planungen oder operative Manöver ausarbeiten kann", warnt der Bundesheer-Offizier.

"Dafür bräuchte sie verlässliche Zahlen, was sie an Ausrüstung, Systemen, Munition bis wann bekommt. Ohne verlässlichen Nachschub lassen sich groß angelegte Verteidigungsanstrengungen nicht hinterlegen."

Um selbst einen Befreiungsschlag an einem Punkt der Front durchzuführen, bräuchten die Ukrainer zumindest regional eine eigene Überlegenheit. Reisner spricht von einem Verhältnis von 3 zu 1 oder noch günstiger: "Nur so könnte man die Russen zurückdrängen. Aber davon ist sie [die Ukraine, Anm.] weit entfernt."

Zwar konnte die Militärführung in Kyjiw zuletzt immer wieder punktuell erfolgreiche Angriffe umsetzen. Nachhaltig sind diese aber nicht: "Dann kommt es zu einer massiven Attacke, aber nach einigen Tagen ebbt es wieder ab, weil einfach die Arsenale leer sind. Dann geht der elende Abwehrkampf weiter."

{title && {title} } rcp, {title && {title} } 01.07.2025, 15:03