Sie sind die Grundlage wissenschaftlichen Fortschritts: Wissenschaftliche Arbeiten. Forscherteams haben nun aber herausgefunden, dass es sich bei vielen Arbeiten um mehr Schein als Sein handelt. Unseriöse Organisationen produzieren gefälschte oder qualitativ minderwertige Studien in industriellen Maßstab - und die Produktionszahl steigt rapide an. Während sich die Zahl wissenschaftlicher Arbeiten alle 15 Jahre verdoppelt, verdoppeln sich die Fakes schon alle 1,5 Jahre.
„Diese Studie ist wahrscheinlich das deprimierendste Projekt, an dem ich in meinem ganzen Leben beteiligt war.“Luís A. Nunes AmaralProfessor für Ingenieurwissenschaften und angewandte Mathematik an der Northwestern University
"Diese Netzwerke sind im Wesentlichen kriminelle Organisationen, die gemeinsam wissenschaftliche Prozesse manipulieren", sagte der leitende Forscher Luís A. Nunes Amaral, Professor für Ingenieurwissenschaften und angewandte Mathematik an der Northwestern University. "In diese Prozesse sind Millionen von Dollar involviert."
"Diese Studie ist wahrscheinlich das deprimierendste Projekt, an dem ich in meinem ganzen Leben beteiligt war", sagte Amaral. Die Forscher analysierten zurückgezogene Artikel und verfolgten Studien, die in Zeitschriften veröffentlicht wurden, welche wegen mangelnder Qualitäts- oder ethischer Standards aus wissenschaftlichen Online-Depots entfernt wurden.
Dabei stießen sie auf sogenannte "Papierfabriken", die Manuskripte von geringer Qualität produzieren und an Akademiker verkaufen. Diese Berichte enthalten gefälschte Daten, manipulierte oder gestohlene Bilder, plagiierte Inhalte, sowie falsche Behauptungen. Die Papierfabriken "verkaufen im Grunde alles, was dazu verwendet werden kann, den Ruf eines Unternehmens aufzupolieren", sagte der leitende Forscher Reese Richardson, ein Postdoktorand an der Northwestern University, in einer Pressemitteilung.
"Sie verkaufen Autorenplätze oft für Hunderte oder sogar Tausende von Dollar", sagte Richardson: "Man kann auch dafür bezahlen, dass die von ihnen verfassten Artikel durch ein Schein-Peer-Review-Verfahren automatisch in einer Zeitschrift angenommen werden."
"Makler bringen die verschiedenen Leute hinter den Kulissen zusammen", sagte Amaral: "Man muss jemanden finden, der den Artikel schreibt. Man muss Leute finden, die bereit sind, als Autoren zu bezahlen. Man muss eine Zeitschrift finden, in der man alles veröffentlichen kann. Und man braucht Redakteure in dieser Zeitschrift, die den Artikel annehmen." Die Täter legen den Fokus auf Gegenden, in denen die gefälschten Meldungen mit geringerer Wahrscheinlichkeit erkannt und verhindert werden.
Laut den Forschern ist eine beliebte Methode der Betrüger den Namen oder die Website einer nicht mehr existierenden Zeitschrift zu übernehmen. Dabei kaufen sie die Rechte an der Quelle, nehmen heimlich ihre Identität an und publizieren betrügerische wissenschaftliche Erkenntnisse, die scheinbar aus einer legitimen Quelle stammen.
„Irgendwann wird es zu spät sein und die wissenschaftliche Literatur wird völlig vergiftet sein.“Luís A. Nunes AmaralProfessor für Ingenieurwissenschaften und angewandte Mathematik an der Northwestern University
"Das ist der Zeitschrift HIV Nursing passiert", sagte Richardson: „Sie war früher die Zeitschrift einer britischen Berufsorganisation für Pflegeberufe, stellte dann aber ihre Veröffentlichung ein und ihre Online-Domain wurde ungültig. Eine Organisation kaufte den Domainnamen und begann, Tausende von Artikeln zu Themen zu veröffentlichen, die überhaupt nichts mit Pflege zu tun hatten."
Die Verbreitung künstlicher Intelligenz drohe das Problem weiter zu verschlimmern, meinten die Forscher. "Wenn wir nicht darauf vorbereitet sind, mit dem Betrug umzugehen, der bereits stattfindet, dann sind wir erst recht nicht darauf vorbereitet, mit den Auswirkungen der generativen KI auf die wissenschaftliche Literatur umzugehen", sagte Richardson: „Wir haben keine Ahnung, was in der Literatur landen wird, was als wissenschaftliche Tatsache angesehen wird und was zum Training zukünftiger KI-Modelle verwendet wird, die dann zum Verfassen weiterer Artikel verwendet werden."
Es liege an der Wissenschaft diesem Problem entgegenzuwirken, indem sie redaktionelle Prozesse genauer beobachte, gefälschte Forschungsergebnisse besser aufdecke oder auch das Anreizsystem in der Wissenschaft radikal umstrukturiere, so die Forscher. "Wenn wir kein Bewusstsein für dieses Problem schaffen, wird sich immer schlimmeres Verhalten normalisieren", warnt Amaral: "Irgendwann wird es zu spät sein und die wissenschaftliche Literatur wird völlig vergiftet sein."