Noch zu Beginn der "gescheiterten" russischen Sommeroffensive hatte eine Studie des Zentrums für Strategische und Internationale Studien (CSIS) in Washington den horrenden Blutzoll von Wladimir Putins Invasion der Ukraine mit rund 1,4 Millionen Toten und Verwundeten beziffert. Genaue Zahlen gibt es nicht, die offiziellen Angaben beider Kriegsparteien sind zu ihrem jeweiligen Vorteil geschönt.
Was aber existiert, ist eine laufende Zählung von Nachrufen, Todesanzeigen etc. durch unabhängige Journalisten. Trotz einer wohl enormen Dunkelziffer ist das Ergebnis der "Mediazona"-Recherche erschütternd. Demnach sind bis 26. September 2025 mindestens 132.615 Kreml-Soldaten Putins Eroberungswahn zum Opfer gefallen. Schätzungen der Übersterblichkeit russischer Männer auf Basis des Nachlassregisters kommen bis Ende August auf etwa 219.000 Tote. Und ein Ende ist nicht in Sicht.
Der russische Präsident hält weiter an seiner Siegestheorie fest, wonach Russland die Ukraine und ihre westlichen Unterstützer in einem Zermürbungskrieg überdauern könne. Diplomatische Bemühungen werden von Putin torpediert. Er will weder einen Waffenstillstand noch einen Frieden, das musste selbst Donald Trump inzwischen einsehen.
"Es gibt ein Sprichwort, das besagt, dass jede US-Regierung Russland neu entdeckt", schreibt Polens Außenminister Radosław Sikorski (62) am Donnerstag in einem Gastbeitrag in der "New York Times". Fast jeder Präsident der letzten Jahrzehnte sei mit der Hoffnung auf einen Neuanfang ins Weiße Haus eingezogen. Am Ende sei das Ergebnis aber immer dasselbe gewesen: "Je mehr Moskau angeboten wird, desto mehr verlangt es."
Das Eindringen von mehr als 20 russischen Kampfdrohnen in sein Land am 10. September sowie die eine Woche später erlebte fortgesetzte Verletzung estnischen Luftraums durch drei Kreml-Kampfflugzeuge sprechen für ihn eine deutliche Sprache: "Diese und andere Vorfälle sind ein weiterer Beweis dafür, dass der Kreml nicht an Frieden, sondern an einer Eskalation interessiert ist. Wenn Sie das überrascht, haben Sie nicht richtig aufgepasst."
Trump habe Putin auf vielen Wegen umgarnt, um ihn diplomatisch zu einem Einlenken zu bewegen. Statt sich auf Frieden einzulassen, hat Russland die Militärausgaben auf ein neues Rekordhoch geschraubt. 2026 dürften schon 40 Prozent des russischen Jahresbudgets für die Finanzierung des Ukraine-Kriegs draufgehen.
"Die Arithmetik des Krieges spricht für sich: Russland sucht keinen Ausweg", hält Sikorski fest. "Russische Bomben haben nie aufgehört, ukrainische Städte zu bombardieren. Jetzt kommen die dreisten Übergriffe in den Luftraum der NATO hinzu. Diese Verletzungen sind keine Nebensache, sondern eine weitere Eskalationsstufe." Putins langfristige Pläne hätten sich nicht geändert, warnt der Pole. Der Kreml-Kriegstreiber wolle das russische Imperium wiederaufbauen, den Westen spalten und die Vereinigten Staaten schwächen.
Doch, es sei möglich, mit Russland zu verhandeln. "Machen Sie es einfach in zwei Schritten: Zeigen Sie zuerst Stärke und führen Sie erst dann einen Dialog", konstatiert Sikorski. Selbst die Verhandlungen zwischen Ronald Reagan und Michail Gorbatschow, die zum Ende des Kalten Kriegs führten, seien erst durch übermächtigen militärischen und wirtschaftlichen Druck auf Moskau möglich geworden. "Als die Kreml-Elite erkannte, dass sie zu schwach war, um Reagans Entschlossenheit zu brechen, begann sie zu verhandeln."
Aber: "Herr Putin ist noch nicht so weit. Der einzige Weg, ihn an den Verhandlungstisch zu bringen, besteht darin, ihm klar zu machen, dass er sich nicht aus seinem Fehler vom 24. Februar 2022 herausmorden kann", stellt der polnische Chefdiplomat fest.
Sikorski schließt mit einer knallharten Ansage: Das größte Land der Erde braucht kein weiteres Land. Es sollte sich besser um das kümmern, was bereits innerhalb seiner international anerkannten Grenzen liegt. Die Führung Russlands muss verstehen, dass ihr Versuch, das letzte Imperium Europas wieder aufzubauen, zum Scheitern verurteilt ist. Das Zeitalter der Imperien ist vorbei."