In Brüssel herrscht Aufbruchsstimmung – zumindest in einem Teil der EU-Kommission. Seit Magnus Brunner als neuer Innen- und Migrationskommissar im Amt ist, versucht der Vorarlberger, eines der konfliktreichsten Dossiers Europas in ruhigere Bahnen zu lenken.
Während die Mitgliedstaaten seit Jahren um gemeinsame Regeln ringen, setzt der ehemalige Finanzminister Österreichs (2021-2014) auf Umsetzung, Tempo – und auf Zahlen, die seiner Ansicht nach erstmals Hoffnung machen.
Im 9. Stock des Kommissionsgebäudes spricht der 53-Jährige mit der deutschen BILD über Fortschritte, Widerstände und über seine Rolle "in der Mitte". Und mit direkten Antworten sparte Brunner nicht.
Brunner sieht die EU auf einem besseren Weg als in den Jahren davor. "Die Zahlen gehen nach unten: 35 Prozent weniger illegale Migration im letzten Jahr, fast 95 Prozent weniger in den vergangenen drei Jahren auf der Westbalkanroute", sagt er der BILD. Gründe dafür seien internationale Abkommen, aber auch erste Teile des neuen Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS).
Ein Beispiel ist das seit wenigen Wochen laufende Entry/Exit-System an europäischen Flughäfen. "Jetzt wird biometrisch registriert, das heißt, wir wissen jetzt, wer nach Europa kommt und wer es wieder verlässt. Der Start hat super funktioniert", erklärt Brunner. Nach nur vier Wochen habe es bereits 5,8 Millionen Registrierungen gegeben.
Trotz Fortschritten bleibt die politische Lage heikel. Einige Staaten bremsen weiter, andere drängen auf eine noch härtere Linie. EU-Kommissar Brunner bleibt verhalten optimistisch:
"Ich bin optimistisch, aber nicht naiv. Ja, wir haben bis Juni 2026 noch gewisse Herausforderungen. Jeder hat noch Hausaufgaben zu machen."
Und weiter: "Aber ich habe schon das Gefühl, dass alle Mitgliedstaaten jetzt die Chance sehen, dass wir bald die Kontrolle wiederhaben, dass wir die Regeln selbst gestalten, dass wir dieses europäische Haus in Ordnung bringen. GEAS ist nicht perfekt. Aber eine Basis. Mir ist lieber, wir haben 70 Prozent, als null Prozent."
Ob zentrale Elemente wie die neuen Asylzentren an den EU-Außengrenzen rechtzeitig anlaufen, bleibt eine der Kernfragen. Brunner bestätigt in der BILD den Zeitplan: "Die Asylzentren sind wichtig, weil wir dann für Staaten, die ein sicheres Herkunftsland sind, schnellere Asylverfahren direkt an den Außengrenzen machen können. Der Zeitplan bis Juni 2026 ist das Ziel. Es wird nicht am ersten Tag alles funktionieren, so ehrlich muss man auch sein. Aber wir sind auf einem guten Weg."
Die internationale Lage verschärft zusätzlich die Debatte. Während in den USA eine harte Linie dominiert und Papst Leo XIV. mehr Menschlichkeit fordert, will Brunner nicht polarisieren:
"Der europäische Sheriff braucht Lösungen in der Mitte. Mir bringt es ja nichts, wenn ich in die eine oder andere Richtung polarisiere, wenn ich 27 Mitgliedstaaten unter einen Hut bringen muss."
Das Ziel sei klar: illegale Migration verringern, legale Arbeitsmigration besser ermöglichen. "Da müssen wir schauen, wie wir Talente besser nach Europa bringen", sagt der ehemalige Finanzminister Österreichs in der deutschen Boulevardzeitung.
Besonders deutlich wird Magnus Brunner bei der Frage, ob Italien und Griechenland wieder stärker Verantwortung übernehmen müssen. "Dublin muss wieder funktionieren. Und Solidarität kann es nur geben, wenn auf der anderen Seite auch die Verantwortung übernommen wird."
Mehrere europäische Länder bereiten Auslagerungen von Asylverfahren in sichere Drittstaaten vor, etwa nach Ruanda oder Albanien. Brunner signalisiert in der BILD Unterstützung: "Wir schaffen bei der Rückführungsverordnung die rechtlichen Rahmenbedingungen für die Mitgliedstaaten, sich solche innovative Ideen wie Rückführungszentren anzuschauen und auch umzusetzen. Ich unterstütze das sehr."
Doch ohne Kooperation der Herkunftsländer gehe es nicht. "Aus meiner Sicht müssen wir bei allen EU-Abkommen, die wir mit Drittstaaten verhandeln, die Migration auf den Tisch legen. Wir haben viele Dinge, die andere Staaten wollen, Visa-Erleichterungen beispielsweise. Das zu verknüpfen, finde ich fair. Nur ein Beispiel. Äthiopien hat nicht kooperiert mit Europa über Jahre. Dann hat Europa Visa-Sanktionen angekündigt. Plötzlich wollten sie doch reden", so Brunner zur BILD.
Hochsensibel ist das Thema Rückführungen in Länder wie Syrien oder Afghanistan. Brunner stellt klar: "Ich finde, es ist keine Option, mit diesen Staaten nicht zu reden. Wenn es um die Abschiebung von Kriminellen geht, bin ich total auf der Seite Deutschlands oder Österreichs: Menschen, die eine Gefahr für unsere Sicherheit in Europa sind, sind so schnell und effektiv wie möglich abzuschieben."
Und weiter: "Auf der anderen Seite kehren derzeit viele Syrer auf freiwilliger Basis zurück. Aus der Türkei reden wir von einer Million Rückkehrern. Das unterstützen wir, weil für uns wichtig ist, dass die Türkei stabil ist und dass Syrien stabil ist."
Finanzielle Anreize wie in Dänemark bewertet Brunner pragmatisch! "Die Frage, wie viel Geld man jemandem fürs Rückkehren ins Heimatland gibt, ist allein Angelegenheit der Mitgliedstaaten. Was wir tun können, ist, Möglichkeiten zu schaffen, sich einmal in Syrien die Situation vor Ort anzuschauen, ohne gleich den Status im europäischen Land zu verlieren", stellt Brunner in der BILD klar.