"Ist das jetzt Regierungslinie? Den Beschäftigten das Existenzminimum madig machen, während Funktionären in der Wirtschaftskammer Gehaltssprünge von bis zu 60 Prozent genehmigt werden?", fragt Christine Heitzinger, Verhandlerin der Arbeitnehmerseite in den laufenden Verhandlungen zum Kollektivvertrag im Handel.
Ihr wütendes Kommentar bezieht sich auf die Aussage von Arbeitgeber-Chefverhandler Rainer Trefelik, der am Verhandlungstisch gesagt hätte, der Kanzler würde ihn "persönlich schelten", falls er einem Abschluss über der Inflation zustimme. "Dass die Arbeitgeber die Löhne gering halten wollen, ist eine Sache", sagt Heitzinger, aber "so etwas geht gar nicht!"
Auch die zweite Verhandlungsrunde am Dienstag brachte kein Ergebnis für die rund 150.000 Dienstnehmer im Handel: Das Angebot der Arbeitgeber - 2,25 Prozent - liegt klar unter der Inflation, die mindestens bei 3 Prozent läge, heißt es seitens der Gewerkschaft vida. Unter dem Strich ein Verlust - den will man nicht hinnehmen. Auch bei Sonntags- oder Nachtzuschlägen habe es keine Bewegung seitens der Unternehmerseite gegeben.
„Arbeiter im Handel sind sicher nicht die richtige Zielgruppe für Sparfantasien.“Christine HeitzingerVizepräsidentin der AK OÖ
Alleine in Niederösterreich betrieb die Sparte Handel im Jahr 2024, laut Wirtschaftskammer (WKO), über 25.806 Arbeitsstätten - 14.618 davon im Einzelhandel, 6.639 im Großhandel und 4.549 in der Kfz-Wirtschaft. Zusammengerechnet erwirtschafteten die Betriebe im Vorjahr Netto-Umsätze in Höhe von rund 53,8 Milliarden Euro.
Im flächenmäßig größten Bundesland Österreichs, so schrieb die WKO Anfang des Jahres, herrsche ein "starker Unternehmergeist trotz schwieriger Rahmenbedingungen" NÖ-Kammerpräsident Wolfgang Ecker freute sich, "dass die Zahl der aktiven Betriebe im Jahr 2024 im Vergleich zu 2023 um knapp 1.600 auf über 116.000 Unternehmerinnen und Unternehmer gestiegen ist, ein Plus von rund 1,4 Prozent. Das ist ein Beleg dafür, dass Niederösterreich trotz unserer zahlreichen Herausforderungen ein guter Standort und attraktives Unternehmerland ist und bleibt."
"Heute" konfrontierte Rainer Trefelik, den Chefverhandler der Arbeitgeber und WKO-Handelsobmann, mit den Vorwürfen Heitzingers, er habe sich bei den gescheiterten Verhandlungen auf Kanzler Stocker ausgeredet. "Wir sind erstaunt", sagt Trefelik, dass "Inhalte aus diesen vertraulichen Gesprächen nun an die Öffentlichkeit gelangt sind. Das widerspricht dem üblichen Verständnis einer vertrauensvollen sozialpartnerschaftlichen Zusammenarbeit."
„Es ist naheliegend, nicht nur branchenspezifische Faktoren, sondern auch das Gesamtbild zu berücksichtigen.“Rainer TrefelikObmann Handel, WKO
Im Rahmen der Kollektivvertragsverhandlungen für die Handelsarbeiter habe - "wie in der österreichischen Sozialpartnerschaft üblich" - ein Austausch auf Spitzenebene stattgefunden. Dabei seien auch jene innenpolitischen und gesamtwirtschaftlichen Rahmenbedingungen erörtert worden, die für die aktuelle Verhandlungsrunde von Bedeutung seien, erklärt Trefelik.
Dann bekräftigt der WKO-Handelsobmann weiter: "Der Handel ist Teil eines größeren wirtschaftlichen Gefüges. Daher ist es naheliegend, bei Kollektivvertragsverhandlungen nicht nur branchenspezifische Faktoren, sondern auch das Gesamtbild zu berücksichtigen."
Vor dem Hintergrund der derzeit herausfordernden wirtschaftlichen Situation sei es nachvollziehbar, dass inflationsdämpfende Maßnahmen (geringere Lohnsteigerung, Anm.) grundsätzlich positiv bewertet würden: "Dieses politische Umfeld wirkt auf alle Sozialpartner ein und wurde im vertraulichen Rahmen besprochen", fasst Trefelik zusammen.
"Der Spartenobmann der WKO verwechselt da gehörig die Zahlen!", kommentiert das Horst Pammer. Er ist Landesvorsitzender der Gewerkschaft vida in Niederösterreich - "dort, wo sich die großen Lager der Handelsriesen befinden". Pammer, der auch im Verhandlungsteam ist, ergänzt: "Laut WIFO sind die Umsätze alleine im Lebensmittelbereich - also in Supermärkten, dort, wo der Großteil der Handelsarbeiter beschäftigt ist - um 5,3 Prozent gestiegen. Generell kann ich bei den WIFO Daten im Vergleich zum Vorjahr nur Steigerungen erkennen, auch bei den Gewinnen und Ausschüttungen."
Kopfschütteln bei Pammer auch zum Vertraulichkeits-Sager von Handelsobmann Trefelik: "Beim Abschluss der Verhandlungsrunde und dem kategorischen Nein der WKO, die Teuerung abzugelten, habe ich explizit darauf hingewiesen, dass wir jetzt vollinhaltlich informieren werden."
"Viele Bedienstete im Handel verdienen im Mindestlohn 2.092 Euro brutto - das ist sicher nicht die richtige Zielgruppe für Sparfantasien", ergänzt Christine Heitzinger: "Das wollen wir uns nicht gefallen lassen." Die Gewerkschaft vida habe daher österreichweit zu Betriebsversammlungen aufgerufen. Für 3. Dezember ist die nächste Verhandlungsrunde angesagt - das Gesprächsklima bleibt höchst angespannt.