Vier von fünf sind Frauen

"Teilzeit-Bashing" – Jetzt schaltet sich AK ein

In der aktuellen Teilzeit-Debatte kritisiert die Arbeiterkammer jüngste ÖVP-Aussagen scharf und fordert "Rahmenbedingungen statt Rückschritte".
Aram Ghadimi
30.07.2025, 06:15
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"Nicht Teilzeit ist das Problem, sondern ein System, das Teilzeit als Lifestyle-Entscheidung betrachtet, unbezahlte Arbeit ausblendet und besonders Frauen dafür mit Altersarmut bestraft", kommentiert jetzt Markus Wieser, der Präsident der AK Niederösterreich, die jüngsten Vorstöße von Wirtschaftsminister Wolfgang Hattmannsdorfer und NÖ Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner (beide ÖVP).

„Wir müssen den Gürtel enger schnallen [...] es wird für alle schmerzlich werden“
Johanna Mikl-LeitnerLandeshauptfrau NÖ (ÖVP)

Zwei gegensätzliche Standpunkte

In der hitzigen Debatte gibt es zwei gegensätzliche Argumentationslinien: Aus den Rängen der ÖVP wird die Wortschöpfung "Lifestyle-Teilzeit" in Stellung gebracht, um zu argumentieren, dass Teilzeitarbeit eine individuelle Entscheidung sei, die, wenn keine Betreuungspflichten vorliegen, aus "Faulheit" resultiere. "Leistungsträger" stünden "Asozialen" gegenüber.

Demgegenüber argumentiert die SPÖ, dass schlichtweg Vollzeitstellen (aber auch Betreuungsplätze für Kinder) fehlen, Unternehmen diese absichtlich zerteilen, um sich Kosten zu sparen und die Löhne niedrig zu halten. Die Mär von der "Leistung" (Alle sollen mehr arbeiten, um den Staat zu erhalten), argumentiert die SPÖ, steht im krassen Gegensatz zur Realität am Arbeitsmarkt.

„Ich habe aber überhaupt kein Verständnis, wenn man gesund ist, keine Verpflichtungen hat und trotzdem Teilzeit arbeitet.“
Wolfgang HattmannsdorferWirtschaftsminister (ÖVP)

Diskus absichtlich verkürzt

Man könnte auch sagen, dass die SPÖ der ÖVP Diskursverkürzung vorwirft – also das Weglassen von Arbeitsmarktzahlen, den Umstand, dass Teilzeit vor allem Frauen betrifft und Unternehmen von der Teilzeit profitieren.

Von der Arbeiterkammer heißt es deshalb: "Die aktuelle Debatte um Teilzeit verkennt die Lebensrealität vieler – in erster Linie jene von Frauen-  in Niederösterreich. Für sie ist Teilzeit oft nicht freiwillig, sondern die einzige Möglichkeit, Familie und Beruf zu vereinbaren."

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AK: "ÖVP fern der Realität"

Statt mit Sanktionen zu drohen, solle darüber diskutiert werden, wie Vollzeitarbeit überhaupt ermöglicht werden könne, denn: "Wer Teilzeitarbeit zurückdrängen will, ohne die Ursachen zu beseitigen, ignoriert, wie die Arbeits-, Lebens- und Familienrealität bei uns tatsächlich aussieht", so AKNÖ-Präsident Wieser.

Die AK schreibt: "Wirft man einen Blick auf die Statistiken, zeigt sich: Vier von fünf Teilzeitbeschäftigten sind Frauen. Die Teilzeitquote liegt bei den Männern in Niederösterreich bei aktuell 12,3 Prozent."

Betreuung hauptsächlich durch Frauen

Kommen Kinderbetreuungspflichten in Spiel, dann zeigt sich deutlich, das Gewicht dieser Argumentation: "Betrachtet man die aktive Teilzeitquote bei den Personen mit Kindern unter 15 Jahren, sinkt diese bei den Männern auf 6,5 Prozent. Bei Frauen steigt sie jedoch auf 73,3 Prozent an." Das weise auf eine traditionelle Verteilung von bezahlter und unbezahlter Arbeit hin. Noch immer übernehmen Frauen den Großteil der Care-Arbeit, versorgen Kinder und Angehörige.

Wer kann? Und wer muss?

Darüber hinaus könnte man aber fragen, ob es nicht das Recht jedes Menschen sein sollte, sich auszusuchen, ob eine Teil- oder Vollzeittätigkeit ausgeübt wird. Dass hier vielen Menschen keine Wahl bleibt, zeigen erneut die Zahlen: "Nur ein Viertel aller 1,4 Millionen Teilzeitkräfte gibt an, bewusst keine Vollzeitarbeit zu wollen – vermehrt betrifft das ältere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer über 50", heißt es von der AK.

Etwa drei Viertel der Teilzeitbeschäftigten, gibt Betreuungspflichten, gesundheitliche Ursachen sowie hohe Arbeitsbelastungen im Job als Gründe für eine Teilzeitbeschäftigung an. Darüber hinaus sei Aus- und Weiterbildung ist für viele – Frauen wie Männer - überhaupt nur mit einer Teilzeitanstellung möglich und leistbar, sagt die Arbeiterkammer. Das zeige ich beispielsweise an der Zahl berufstätiger Studierender.

Viele wollen aufstocken

Nun zur Abgabenseite: Hier sagt die Arbeiterkammer, dass "das Motiv, so wenig wie möglich Lohnsteuer zu bezahlen, häufig politisch instrumentalisiert wird. Nur 1,2 Prozent der befragten Frauen und 3 Prozent der befragten Männer geben an, hier sparen zu wollen."

Und noch etwas ist interessant: "Im Schnitt arbeiten Teilzeitbeschäftigte 21 Stunden pro Woche. Die Wunscharbeitszeit liegt mit rund 30 Stunden deutlich darüber – ein klarer Hinweis, dass viele gerne mehr arbeiten würden, wenn die Bedingungen stimmen", sagt die Arbeiterkammer. Und daraus resultieren für sie, "Unternehmen in die Pflicht zu nehmen".

Unternehmen setzen auf Teilzeit

Denn, neben persönlichen Gründen, sei Teilzeitarbeit vielfach auch darin begründet, dass es seitens der Betriebe oft keine Wahlmöglichkeit gäbe, die Stunden aufzustocken. Der Grund dafür: "Zunehmend setzen Unternehmen auf mehr Flexibilisierung durch Teilzeitkräfte. Das zeigen auch aktuelle Daten des AMS: Der Anteil der gemeldeten reinen Vollzeitstellen hat abgenommen (aktuell 62,5 %)."

Klar sei, sagt die Arbeiterkammer: "Der Trend geht in die Richtung, dass Stellen sowohl in Voll- als auch in Teilzeit ausgeschrieben werden. Somit setzen auch Unternehmen in gewisser Weise auf Arbeitszeitverkürzung, was die Diskussion rund um die Arbeitszeitverkürzung um eine Facette bereichert."

AK hat Lösungsvorschläge

Die Arbeiterkammer bleibt aber nicht bei dieser Kritik stehen, sie hat auch Lösungsvorschläge für die Verfechter der Sager von den "Leistungsträgern" parat: "Wer heute mehr Beschäftigte in Vollzeit bringen will, muss zuerst die strukturellen Barrieren beseitigen, die Menschen – besonders Frauen – in Teilzeit drängen."

Mehr Menschen in Vollzeitstellen zu bringen, gehe nicht, ohne ganztägige, flächendeckende und kostenfreie Kinderbildung- und -betreuung ab dem ersten Geburtstag. Diese Forderung bestehe seit September 2020 – übrigens als Forderung der Sozialpartner, also auch der ÖVP-nahen Industriellenvereinigung.

"Und darüber hinaus müssen jene Branchen in die Pflicht genommen werden, die selbst keine Vollzeitjobs anbieten, jedoch die vielen Teilzeitarbeitsverhältnisse bemängeln", sagt AK-Chef Makus Wieser.

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