In Niederösterreich gehen nach den jüngsten Vorstößen der ÖVP zur Teilzeitarbeit die Wogen hoch: "Die Frauen haben es weder verdient, von Landeshauptfrau Mikl-Leitner ausgerichtet zu bekommen, dass Teilzeitarbeit asozial ist, noch brauchen sie die Beschimpfungen des Wirtschaftsministers", sagt der Landesvorsitzende der SPÖ in Niederösterreich, Sven Hergovich.
"Tausende Eltern – vor allem Frauen – arbeiten Teilzeit, weil sie durch das Versagen der schwarz-blauen Landeskoalition keine andere Wahl haben." Das ergänzt sein Parteikollege, der Landtagsabgeordnete René Pfister, ebenfalls von der SPÖ NÖ. "Wenn Johanna Mikl-Leitner Teilzeitarbeit als 'asozial, unfair und ungerecht' bezeichnet, zeigt sie, wie weit sie sich von der Lebensrealität der Menschen entfernt hat", sagt Pfister und fordert: "Mikl-Leitner soll sich entschuldigen."
"Wir müssen den Gürtel enger schnallen" und "alle an einem Strang ziehen", hatte Mikl-Leitner kürzlich gegenüber der APA gesagt. Vor dem Hintergrund der laufenden Maßnahmen zur Sanierung des österreichischen Staatshaushalts, meinte die ÖVP-Politikerin, dass ein harter Sparkurs unumgänglich sei: "Es wird für alle schmerzlich werden."
"Österreich arbeitet zu wenig", erklärte kürzlich Wirtschaftsminister Wolfgang Hattmannsdorfer (ÖVP). Leistung müsse wieder "in" werden, sagt der Politiker. Hattmannsdorfer, engagiert seit seiner Studienzeit bei der ÖVP. Er war ab 2003 Referent im Landtagsklub der ÖVP Oberösterreich. Danach war er der Stellvertreter und, ab 2013, Landesgeschäftsführer der OÖVP. 2021 wurde Hattmannsdorfer zum Landesrat für Soziales, Integration und Jugend ernannt, 2024 zog er in den Nationalrat ein. Seit 1. April 2025 ist Hattmannsdorfer Bundesminister für Wirtschaft, Energie und Tourismus.
Dass der Trend zur "Lifestyle-Teilzeit" zunehme, sei ein Problem für den Wirtschaftsstandort Österreich, für Pensionen, den Arbeitsmarkt und den Wohlstand, sagt der ÖVP-Politiker, der zusätzlich zu seiner politischen Tätigkeit in verschiedenen Aufsichtsräten und parteinahen und halböffentlichen Unternehmen tätig ist. Einen funktionierenden Sozialstaat gebe es nur durch wirtschaftliche Stärke, so der Minister, und wirtschaftliche Stärke nur, "wenn viele mit anpacken".
Das sieht auch Niederösterreichs Landeshauptfrau so: Im APA-Interview drängte Mikl-Leitner nicht nur auf eine Anhebung des faktischen Pensionsantrittsalters, sondern auch auf Maßnahmen, um mehr Menschen in Vollzeit-Arbeit zu bringen, etwa durch Änderungen im Steuersystem. "Lifestyle-Teilzeit", sagt Mikl-Leitner, sei "unfair und ungerecht". Denn: "Nur wenn wir den Leistungsgedanken verfolgen, können wir uns auch das Sozialsystem weiterhin leisten."
Tatsächlich ist Niederösterreich, das flächenmäßig größte Bundesland, hoch verschuldet. Lag hier das Defizit 2023 noch bei 137 Millionen Euro, steht es jetzt laut Statistik Austria bei 486 Millionen Euro – anders gesagt: In diesem Zeitraum stiegen die Schulden auf das Dreieinhalbfache.
Diese Entwicklung begründete zuletzt Mikl-Leitners Parteikollege, der Finanzlandesrat Ludwig Schleritzko, mit einer schwächelnden Wirtschaft, den Hochwasser-Ausgaben im September 2024, sowie mit gestiegenen Kosten in den Bereichen Kinderbetreuung, Soziales und Gesundheit.
Genau hier hakt jetzt die Kritik der SPÖ ein: Denn, in Niederösterreich "arbeiten über 40Prozent der Beschäftigten in Teilzeit, bei den Frauen sogar 65Prozent – das zeigt eine aktuelle Studie der Arbeiterkammer. Viele würden gerne mehr arbeiten, können es aber nicht: Wegen fehlender Kinderbetreuung, unflexibler Arbeitszeiten oder weil Vollzeitstellen schlicht fehlen."
Menschen in Teilzeitstellen so zu beschimpfen, sei "nicht nur schäbig, sondern skandalös", sagt René Pfister. Dass Mikl-Leitner sich im APA-Interview für die Beschimpfung der Teilzeitarbeitenden nicht entschuldige, sondern sogar noch nachlege, sei zutiefst befremdlich.
Pfisters Kritik bezieht sich auf Aussagen Mikl-Leitners aus dem Jänner, als sie am "NÖ Zukunftstag der Baugewerbe" in der Messehalle Tulln vor versammeltem Publikum sagte: "Ich gönne jedem, dass er seine Work-Life-Balance lebt, aber nicht auf unser aller Kosten." Sie hätte Verständnis, wenn jemand Teilzeit arbeite, um Kinder oder ältere Menschen zu betreuen, so die Landeshauptfrau: "Aber nicht, wenn es ein gesunder Mann ist oder eine gesunde Frau, denn das ist asozial."
Ein Blick in die Zahlen zeigt, dass 2023, in dem Jahr, in dem Niederösterreichs Schuldenstand zu explodieren beginnt, laut Statistik Austria bereits "jeder achte Mann (13,4 %) und jede zweite erwerbstätige Frau (50,6 %), auf Teilzeitbasis" arbeiteten. Dabei nannten Frauen als häufigsten Grund für ihre Teilzeitbeschäftigung Betreuungsaufgaben. Nur etwa 10 Prozent der Frauen mit einem Kind unter drei Jahren waren in einer Vollzeitstelle.
Nur jedes dritte Kind unter 3 Jahren (35 Prozent) in NÖ besucht überhaupt einen Kindergarten. Das geht aus einer Analyse der Arbeiterkammer NÖ hervor. Die Vereinbarkeit von Beruf und Kindern bleibt herausfordernd. Auf der einen Seite machen die Teuerungen der letzten Jahre jungen Eltern zu schaffen und erhöhen für viele Menschen den finanziellen Druck. Gleichzeitig gibt es beim Betreuungsangebot nur graduelle Verbesserungen, kritisiert die AK NÖ.
Auf 1.000 Einwohner kommen in Niederösterreich etwa 0,96 Kindergartenplätze. Nur in jeder zweiten Gemeinde existieren Tagesbetreuungseinrichtungen (Krippen, Altersgemischte Einrichtungen) für Kinder unter 2 Jahren. Überhaupt gibt es im gesamten Bundesland nur 318 aktive Tagesmütter bzw. Tagesväter.
"Der Wille zum Sparkurs ist da", sagt jetzt Johanna Mikl-Leitner gegenüber der APA. Den gewaltigen Schuldenberg in ihrem Bundesland möchte die erfahrene Politikerin durch Sparen in der Struktur und durch das Setzen von Prioritäten in den Griff bekommen. ÖVP-Politikerin möchte "dort sparen, wo es möglich ist und investieren, wo es notwendig ist".
Weiterhin müsse Geld in Zukunftsbereiche fließen. So werde etwa in Infrastruktur, Kinderbetreuung, Wohnen und Kliniken investiert. Bei der nächsten Klausur im September, werde sich die Landesregierung mit Sparmaßnahmen beschäftigen, kündigte Mikl-Leitner an.
Demgegenüber pocht die SPÖ NÖ auf klare Maßnahmen und fordert den flächendeckenden Ausbau der ganztägigen Kinderbetreuung. Und auch einen 50-prozentigen Überstundenzuschlag für Teilzeitkräfte kann sich die SPÖ vorstellen. Denn, so Pfister: "Es darf sich für Unternehmen nicht länger auszahlen, Vollzeit zu verweigern. Und auch der Kindergarten muss in Niederösterreich am Nachmittag endlich kostenlos werden – so wie in allen rot regierten Bundesländern." Das würde Familien entlasten, erst dann könne man von Wahlfreiheit bei der Teilzeit sprechen.
Wenn Wirtschaftsminister Hattmansdorfer schon glaube, der Bevölkerung etwas auszurichten zu müssen, dann sei das Minimum an Respekt, zumindest die Landessprache zu benutzen, kommentiert Hergovich den jüngsten Vorstoß der ÖVP in der Debatte rund um die Teilzeit:
"Einen abgehobenen Denglisch-Managementsprech mit irgendwelchen 'Wake Up Calls' braucht kein Mensch. Schon gar nicht die vielen Frauen, die Kinderbetreuung oder Pflege mit dem Beruf vereinbaren müssen. Sie sind nämlich das Rückgrat unseres Landes. Sie halten das Land am Laufen", so Hergovich.
"Gegen-eh-alles-Landesrat Hergovich scheint die grundlegenden Kategorien der Arbeitsmarktdebatte entweder nicht zu verstehen oder bewusst zu vermischen", kommentiere das jetzt der Landesgeschäftsführer der Volkspartei Niederösterreich, Matthias Zauner. "Lifestyle-Teilzeit" ist auch für ihn kein Zukunftsmodell.
"Wer Pflegearbeit leistet oder Kinder erzieht, soll selbstverständlich weiterhin in Teilzeit arbeiten – das ist gesellschaftlich notwendig und politisch unbestritten. Wer bei voller Gesundheit und ohne Betreuungspflichten Teilzeit arbeitet, dem muss bewusst sein, dass unser Sozialstaat auf diese Weise nicht aufrechterhalten werden kann", sagt Zauner.
In Niederösterreich schaffe man mit der Kinderbetreuungsoffensive echte Wahlfreiheit für Eltern. Vollzeit-Arbeit und Leistung müssten belohnt werden, sagt der ÖVP-Politiker, denn wer fleißig arbeite, dürfe nicht "der Dumme sein und für Faulenzer die Zeche zahlen".
Der Weg zur Vollbeschäftigung gelinge durch einen "kreativen Mix" postulierte Österreichs ÖVP-Kanzler Schüssel noch zur Jahrtausendwende. Schon damals forderte er die Heraufsetzung des Pensionsantrittsalters, die Senkung der Lohnnebenkosten, aber auch Bildungsinitiativen, die Flexibilisierung von Zuverdienstgrenzen und – mehr Teilzeitangebote.