Lange Wartezeiten, überlastete Spitäler, Ärztemangel: Das österreichische Gesundheitssystem steht unter Druck. Hinzu kommt auch noch, dass in den nächsten zehn Jahren rund 18.000 bis 20.000 Ärzte das Pensionsalter erreichen. Nachfolger gibt es in dieser Größenordnung nicht.
Die Regierung will deshalb gegen den Ärzteschwund vorgehen. Allen voran die SPÖ mit Wissenschaftsministerin Eva-Maria Holzleitner macht sich in der Debatte für einen Solidarbeitrag stark. Demnach sollen sich Absolventen von öffentlichen Medizinunis verpflichten, eine gewisse Zeit im öffentlichen Gesundheitssystem zu arbeiten.
Dadurch sollen die Ärzte im Land bleiben – eine Zeit lang zumindest. Einen genauen Plan gibt es für die Regel noch nicht: "Wir befinden uns derzeit in einem laufenden Diskussionsprozess mit Stakeholdern sowie dem Gesundheitsministerium", hieß es aus dem Ministerium auf "Heute"-Anfrage.
Während sich die SPÖ also in der Ausarbeitung des Plans befindet, bleiben zukünftige Studenten und baldige Ärzte iim Unsicheren. Denn was viele nicht wissen: Nach einem abgeschlossenen Medizinstudium steht für viele Absolventen Warten auf dem Programm – und dazu könnten sie bald verpflichtet werden.
Der Grund dafür ist die sogenannte Basisausbildung – der erste Schritt zur Allgemein- oder Facharzt-Ausbildung. Diese muss von allen angehenden Ärzten absolviert werden und dauert neun Monate. Problem ist dabei nur, dass in vielen Bundesländern weniger Stellen zur Verfügung stehen, als es Absolventen gibt.
Damit stehen viele Absolventen vor einer schwierigen Entscheidung: Entweder sie warten, bis ein Platz frei wird – in einigein Bundesländern sind es sechs Monate, in Wien kann das auch über ein Jahr sein. Oder man verlegt sein Leben für die nächsten neun Monate in ein Bundesland, wo es keine oder nur kurze Wartezeiten gibt.
Wirkliche Optionen sind das nicht. Das ist mitunter auch ein Grund, warum Absolventen aus Deutschland nach dem Studium wieder in ihr Heimatland zurückkehren. Dort gibt es diese Basisausbildung nicht – man kann sofort zu arbeiten beginnen.
„So vertreiben wir viele unserer in Österreich top-ausgebildeten Jungmediziner.“Harald MayerVizepräsident der Österreichischen Ärztekammer (ÖÄK)
Sollte aber der Solidarbeitrag kommen, so wie ihn sich Wissenschaftsministerin Eva-Maria Holzleitner vorstellt, bedeutet das nichts anderes, als dass Jungmediziner zum Warten verpflichtet werden. Für ihre Leistungen im Studium, das ohnehin Jahre in Anspruch nimmt, werden sie abgestraft.
"Die jungen Ärztinnen und Ärzte in Österreich sind hochmotiviert, ihre ärztliche Tätigkeit in der Facharztausbildung nach Abschluss des Studiums sofort anzutreten und im solidarischen System zu arbeiten", erklärt dazu auch Harald Mayer, Vizepräsident der Österreichischen Ärztekammer (ÖÄK).
"Viel zu vielen wird dies aber unmöglich gemacht, weil ihnen von den Trägern keine Ausbildungsplätze angeboten werden und sie monatelang auf Wartelisten versauern. So vertreiben wir viele unserer in Österreich top-ausgebildeten Jungmediziner. Darüber – und nicht über Zwangsverpflichtungen – sollte sich die Politik Gedanken machen."
Damit aber nicht genug. Zusätzlich hagelt es auch von der Ärztekammer, Experten und Universitäten scharfe Kritik an den Plänen der Regierung. Immerhin gibt es eine derartige Verpflichtung in keiner anderen Branche. Weder muss sich ein Absolvent der Wirtschaftsuniversität bei den ÖBB verpflichten, noch wird ein Informatiker dazu gezwungen, bei Digital Austria zu arbeiten.
"Jedes Studium an einer heimischen Universität ist kostenlos, warum nimmt man sich gerade die Humanmedizin-Absolventen heraus? Wenn man auch Absolventinnen und Absolventen aller anderen Studienrichtungen dazu verpflichtet, nach dem Studium eine bestimmte Zeit für die Allgemeinheit zu arbeiten, erst dann kann man auch die Humanmedizin dazu verpflichten", betont etwa Peter Niedermoser, Präsident der oberösterreichischen Ärztekammer.
Die Ärztekammer erinnert in der Debatte zudem daran, dass die Medizinstudenten ohnehin in ihrer Ausbildung, insbesondere während des Klinisch-Praktischen Jahrs im 6. Studienjahr, einen solidarischen Beitrag leisten.
Immerhin werden die Studenten als vollwertiges Mitglied an Universitätskliniken oder Lehrkrankenhäusern für die solidarische Patientenversorgung eingesetzt, so Harald Mayer. Vergütet wird die Vollzeitarbeit im Klinisch-Praktischen Jahr mit 900 Euro brutto. Vergleichsweise gibt es in anderen Branchen für ein Praktikum oftmals schon das Doppelte.
Eine wirkliche Lösung für die Problemstellen, die der Solidarbeitrag mit sich bringt, hat das Ministerium bislang aber noch nicht gefunden. "Auch Fragen zum Verhältnis zwischen Solidarbeitrag und Basisausbildung sowie zum Abbau von Wartezeiten nach dem Studium sind Teil der Gespräche. Klar ist: Dafür braucht es ausreichend Kapazitäten in der postgraduellen Ausbildung", hieß es auf "Heute"-Anfrage.
"Unser Ziel ist es, eine faire, rechtlich fundierte Lösung zu erarbeiten, die dem öffentlichen Interesse dient und zugleich die Freiheiten und beruflichen Perspektiven der Absolventinnen und Absolventen wahrt. Sobald konkrete Vorschläge vorliegen, werden wir sie selbstverständlich transparent darlegen und zur Diskussion stellen. Jetzt zählt, dass wir alle Stimmen hören, ordentlich diskutieren und gemeinsam die beste Lösung finden. Für ein starkes öffentliches Gesundheitssystem, das auf Solidarität baut und engagierte Nachwuchsmedizinerinnen und -mediziner stärkt", so das Ministerium.