Am Donnerstag (16.20 Uhr, live auf ORF 1) kreuzt Österreich im WM-Viertelfinale in Herning die Schläger mit Turnier-Mitfavorit Schweiz. Ein Kracher, der nicht nur aufgrund nachbarschaftlicher Rivalität Brisanz birgt – denn Österreichs Eishockey-Team profitiert maßgeblich vom System des Gegners.
Österreichs WM-Helden haben schon im Vorjahr mit dem Sieg gegen Finnland und der historischen Aufholjagd gegen Kanada eine Euphorie entfacht, mit dem sensationellen Viertelfinal-Einzug (erstmals seit 1994) heuer einen draufgelegt. Finnland und Schweden an den Rande der Niederlage gebracht, Siege gegen die Slowakei, Frankreich, Slowenien und zuletzt die 6:1-Gala gegen Lettland – Teamchef Roger Bader und seine Auswahl lassen die Tage als Fahrstuhlnation in Vergessenheit geraten.
Bader und die Spieler sind sich bei der Frage nach dem Erfolgsrezept einig: Schlagworte wie Familie, Chemie, Zusammenhalt fallen in fast jedem Interview. Zurecht. Vergleicht man die sieben Vorzeige-Leistungen der Gruppenphase mit früheren Turnieren, sticht vor allem die Kompaktheit heraus. Ja, herausragende Einzel-Könner wie Marco Kasper, der pfeilschnelle Vinzenz Rohrer, Zweikampf-Maschine Bernd Wolf und der verlässliche Rückhalt David Kickert heben das Team auf ein höheres Level. Entscheidend ist aber, dass in sämtlichen Angriffs- und Abwehrreihen keine Leistung abfällt. Im Entscheidungsspiel gegen Lettland, das sich mit ähnlich energiegeladenem Eishockey in die Pole Position gebracht hatte, ebneten individuelle Aussetzer des Gegners für Österreich den Weg.
Die Analyse des WM-Kaders zeigt auf: Österreich muss vor dem Duell gegen die Schweiz danke sagen. Nicht nur bei seinem Schweizer Teamchef. Ein Großteil des Kaders hat von besseren Strukturen im Ausland profitiert – insbesondere jenen der Schweiz, noch heute Arbeitsplatz für die NLA-Legionäre Benjamin Baumgartner, Dominic Zwerger, Bernd Wolf, Oliver Achermann und Vinzenz Rohrer aus dem aktuellen WM-Kader.
Mehr als die Hälfte des Kaders schaffte im Ausland den Sprung zum Profi. Viele von ihnen wurden bereits in Jugendjahren im starken Schweizer Nachwuchssystem ausgebildet, zählten dadurch bei den Nachbarn nicht als Ausländer (strenge Begrenzung) und konnten sich über das durchlässigere Ligensystem in die höchste Spielklasse emporarbeiten.
Im Ausland Sprung zu Profis (14 Spieler des WM-Kaders)
Vinzenz Rohrer (🇨🇭, ZSC Lions): Über OHL 🇨🇦 und 🇨🇭 zu den Profis. Auch schon praktisch gesamte Jugend in🇨🇭.
Peter Schneider (Salzburg): Jugend in 🇨🇿 und 🇸🇰, dann College 🇺🇸.
Gregor Biber (🇸🇪, Rögle): im U18-Alter von KAC zu Rögle 🇸🇪.
Luis Lindner (Linz): Im Teenageralter von SBG aufs College 🇺🇸, kehrt nun zurück.
David Maier (KAC): Schon im U16-Alter von KAC nach 🇸🇪, dort drei Jahre bei Södertälje ausgebildet. Dann zwei Saisonen in OHL 🇨🇦. Bei Rückkehr schnell KAC-Profi.
Thimo Nickl (KAC): Aus KAC-Jugend für drei Jahre in zweite Liga 🇸🇪. Ein Jahr ECHL 🇺🇸.
Bernd Wolf (🇨🇭, Kloten): Nachwuchs und NLB in🇨🇭, als fertiger Spieler zum VSV.
Oliver Achermann (🇨🇭, Chaux-de-Fonds): Sogar 🇨🇭 Staatsbürgerschaft, kurzer Zwischenstopp in 🇸🇪. Als fertiger Spieler EBEL.
Benjamin Baumgartner (🇨🇭, Bern): Von klein auf immer🇨🇭.
Lukas Haudum (Graz): Von Linzer Jugend für fünf Jahre nach 🇸🇪.
Marco Kasper (NHL, Detroit): Von KAC-Jugend drei Jahre nach 🇸🇪, dann AHL 🇺🇸.
Brian Lebler (Linz): 🇨🇦 mit Ö-Wurzeln. College 🇺🇸, AHL 🇺🇸, ECHL 🇺🇸, dann als junger Profi nach Linz.
Dominic Zwerger (🇨🇭, Ambri-Piotta): Jugend in🇨🇭, Wechsel in WHL 🇨🇦, dann direkt NLA🇨🇭.
Atte Tolvanen (Salzburg): Kurz vor der WM eingebürgerter 🇫🇮.
Genau dieser Schritt wird in Österreich für junge Spieler immer schwerer. Die acht heimischen ICE-Klubs setzen vor allem in tragenden Rollen (Einser-Goalie, Scoring Lines, Special Teams) auf Legionäre oder eben jene gestandenen ÖEHV-Profis, die aus dem Ausland zurückkehren. Für Teenager-Talente fehlt dazu mit der Ausnahme Salzburg die wichtige Station zwischen Nachwuchs und Top-Liga. Die zweite Spielklasse ist mit der ALPS Hockey League wie die ICE eine internationale Meisterschaft mit nur vier Österreichern (Salzburg, Kitzbühel, Zell am See, Bregenzerwald). Selbst Rekordmeister KAC wollte oder konnte sich mit der abgelaufenen Saison kein Farmteam mehr leisten.
Mischweg (4 Spieler des WM-Kaders):
Ramón Schnetzer (Vorarlberg): Für vier Jahre 🇨🇭. Dann über KAC-Zweier zum Profi.
Benedikt Oschgan (🇸🇪, Västerås): Der Linzer spielte bei den Steel Wings vor deren Auflösung in Linz schon Zweitliga-Hockey. Jetzt spielt Österreichs größtes Goalie-Talent in Skandinavien. Er wurde für Tolvanen nachnominiert, der nach dem Auftaktspiel gegen Finnland wegen der Geburt seines Kindes abgereist war.
Luca Thaler (Salzburg): Jugend des VSV bis Wechsel 🇸🇪 im U18-Alter. Nach drei Jahren Rückkehr in die Bullen-Akademie und Weg über RB-Alps-Team in die 🇦🇹. Ö-Produkt mit schwedischem Umweg.
Thomas Raffl (Salzburg): Nach VSV-Jugend ein Teil-Jahr in WHL 🇨🇦/USHL, selbe Saison erste VSV Einsätze, schon nächste Saison Durchbruch 🇦🇹
Sprich: Für Talente aus der Bundeshauptstadt Wien ist beispielsweise die Bullen-Akademie die geografisch nächste Möglichkeit auf Zweitliga-Hockey, gehört aber zur Liga-Konkurrenz. Die Zeller Eisbären kooperieren mit Linz. Die Kitzbüheler Eishalle ist gut 400 Kilometer von der Steffl Arena entfernt. Nicht umsonst pendeln also Juwele, wie es der heutige NHL-Star Marco Rossi (Minnesota Wild, fehlt bei WM wegen Vertrags-Poker) ist, jahrelang von Vorarlberg in die Schweiz, um von der besseren Infrastruktur und dem stärkeren Ligen-System zu profitieren.
Über österreichischen Weg zum Profi (8 Spieler des WM-Kaders)
David Kickert (Salzburg): ausgebildet bei Caps über Caps II in EBEL. Aktuell in ICE Backup.
Florian Vorauer (KAC): ausgebildet bei KAC, über KAC II in EBEL bzw ICE. Aktuell in ICE Backup.
Paul Stapelfeldt (Salzburg): über RB Akademie und Zweier.
Paul Huber (Graz): über RB Akademie und Zweier.
Lukas Kainz (Graz): über RB Akademie und Zweier.
Nikolaus Kraus (Salzburg): über KAC II.
Clemens Unterweger (KAC): über Zell und Graz mit Minimal-Stopp in 🇫🇮.
Dominique Heinrich (zuletzt Caps): WEV, Salzburg
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‼️ Alarmierend: Bis auf die Bullen-Akademie und Unterwegers atypischen Weg über Zell und Graz wäre keiner der rein österreichischen Werdegänge beim Übergang zum Profi heute noch genauso möglich. Die Caps und KAC haben kein Farmteam mehr. Der WEV spielte zu Zeiten von Heinrichs Aufstieg auch noch zweite Liga – heute längst nicht mehr.
Nicht falsch verstehen: Die ICE bietet starkes Hockey, das sich auch im europäischen Vergleich sehen lassen kann. Das beweisen Salzburg und Co. in der Champions League. Das passiert aber bei den heimischen ICE-Klubs mit zweistelligen Legionärs-Zahlen und damit auf Kosten der Ausschöpfung des österreichischen Potenzials.
Prominente WM-Abwesende
Marco Rossi (NHL, Minnesota): Über 🇨🇭in die NHL. Fehlt bei WM wegen Vertragspoker.
David Reinbacher (NHL/AHL, Montreal): Über 🇨🇭 in AHL. War im Vorfeld der WM lange verletzt.
Die Euphorie durch starke WM-Auftritte wie 2024 und jetzt 2025 könnte für einen Boom genutzt werden. Die Wahrheit ist aber: Die heimische Infrastruktur gibt einen solchen gar nicht her. Es wird an zu wenigen Orten Eishockey gespielt, die finanzielle Barriere ist dadurch für Eltern zu hoch, die Zukunftschancen über den Heimatweg, wie oben beschrieben, mittlerweile gering.
Ungeachtet des Ausgangs des nachbarschaftlichen Duells mit der Schweiz sollte dieses historische Viertelfinale für Eishockey-Österreich also vor allem eines sein: Anstoß zu einem Umdenken, wie heimischen Klubs der Profi-Betrieb wieder leichter gemacht, das Fundament wieder breiter und weniger wackelig werden könnte
Das Zuschauerinteresse ist da. Nicht nur jetzt bei der WM vor den TV-Geräten. Auch die Hallen sind gut gefüllt:
Zuschauerschnitt ICE 2024/25
1. Wien 4,693
2. Klagenfurt 4,146
3. Linz 4,057
4. Fehervar 3,623
5. Bozen 3,573
6. Villach 3,292
7. Graz 3,086
8. Salzburg 2,977
9. Pustertal 2,600
10. Laibach 2,136
11. Innsbruck 1,950
12. Vorarlberg 1,771
13. Asiago 1,639
in 24 Grunddurchgangsspielen plus, wenn vorhanden, Playoffs.