School-Shootings

"Gut darauf achten" – Psychiater warnt vor Nachahmern

Nach dem Amoklauf in Graz erklärte Jugendpsychiater Paul Plener in der ZIB2 die Dynamiken dahinter und worauf jetzt besonders zu achten ist.
Heute Life
15.06.2025, 07:00

Österreich steht unter Schock. Am 10. Juni starben bei einem Amoklauf eines ehemaligen Schülers des BORG in Graz zehn Menschen sowie der Schütze selbst. Doch nicht nur der Schock sitzt tief, immer wieder steht auch die Frage nach dem Warum im Raum. Welche Reaktionen jetzt menschlich sind und wieso der 21-Jährige die Leben von Menschen beendete, die er nicht einmal kannte, erklärte Jugendpsychiater Paul Plener der MedUni Wien Dienstagabend in der ZIB2.

"Zunächst einmal muss man sagen, dass der Alarmzustand, den jetzt viele bei sich wahrnehmen, eine normale Reaktion ist", so der Präsident der Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie.

Normale Symptome

Es sei menschlich, dass direkt Betroffene - seien es die Schüler, Lehrer oder Eltern - jetzt schlecht schlafen, unkonzentriert sind, immer wieder die Geschehnisse vor den eigenen Augen sehen oder die Geräusche hören. "So reagieren wir Menschen", erklärt der Experte. Erst in weiterer Folge würde sich zeigen, wer Schwierigkeiten hat, von diesen Symptomen wegzukommen und vielleicht eine posttraumatische Belastungsstörung entwickeln.

Wichtig sei es laut des Jugendpsychiaters jetzt, dass die Geschehnisse auch außerhalb des direkten Tatumfeldes angesprochen werden und der Thematik Raum gegeben wird.

Gefahr der Nachahmung

Raum, der jedoch nicht für das Bildmaterial der Tat und den Täter selbst in den Medien gelte, denn die Gefahr von Nachahmungstätern, wie 1999 nach dem Amoklauf an der Columbine High School in den USA, sei groß. "In den nächsten Tagen muss man sehr gut darauf achten. Vor allem muss man sehr gut darauf achten, was über den Täter kolportiert wird. Schließlich will man möglichst wenig Identifikationspotential bieten." Im Columbine-Fall wurde bei den Nachahmungstaten, die bis außerhalb der USA reichten, teilweise sogar die gleiche Kleidung getragen. "Je weniger Bildmaterial und je weniger Beschäftigung auch mit dem Täter passiert sowie mit seinen möglicherweise zugrundeliegenden Motiven, umso günstiger wäre es. Es ist Zurückhaltung geboten."

„Es geht darum, dass die Tat an sich etwas sein soll, das erhalten bleibt.“

Auch deshalb, weil es eben um genau diese mediale Bühne bei solchen Taten geht. Der Ex-Schüler des BORG in Graz kannte die meisten seiner Opfer gar nicht. "Es geht darum, dass die Tat an sich etwas sein soll, das erhalten bleibt. Durch die mediale Berichterstattung wird das Leben des Täters noch einmal in den Vordergrund gespielt. Dem sollte man möglichst wenig Raum geben."

Vorausgeplante Tat

Bei der Frage nach dem Profil eines Amokläufers stellte Plener zunächst fest, dass mit Blick auf Graz eigentlich nicht von einem Amoklauf gesprochen werden sollte, sondern von einem School Shooting. "Ein klassischer Amoklauf, so wie er definiert ist, passiert in einem Zustand der Rage. Dass plötzlich jemand gewalttätig wird, davon sind wir bei diesen sogenannten School Shootings - die im deutschen Sprachgebrauch als schulische Amokläufe klassifiziert werden - jedoch weit entfernt. Hier handelt es sich meist um vorausgeplante Taten, die einen gewissen Vorlauf haben."

In weitere Folge führte der Experte aus, dass es sich in den meisten Fällen um männliche Täter handelt. "Es gibt nur sehr wenige Ausnahmen von weiblichen School Shootings oder wo die Täterin weiblich war. Es sind oft auch Personen, die verschiedene Kränkungserlebnisse hatten, die vielleicht von außen gesehen gar nicht so groß gewichtet wurden, aber subjektiv sehr schwer gewogen worden sind. Oft findet man auch eine Häufung der Erlebnisse vor den Taten."

Da leider sehr viele Menschen gemobbt werden und zum Glück nicht alle zu Amokläufern werden, geht Plener zudem davon aus, dass hier auch die Persönlichkeit eine Rolle spielt. "Bei einigen School Shootings hat man im Nachhinein einen sehr großen narzisstischen Persönlichkeitsanteil festgestellt, das kann jedoch sicher nicht verallgemeinern. Hier bewegt man sich auf sehr dünnem Eis."

Das sind die Warnsignale

Im Fall von Graz sei es vermutlich nicht um Personen, sondern um den Ort - also die Schule - gegangen. "Möglicherweise ist etwas passiert, das der Täter mit schwierigen Ereignissen von seiner Schulzeit in Verbindung gebracht hat und deshalb der Ort wichtig war und gar nicht die Personen, die sich dort aufgehalten haben. Aber das ist reine Spekulation."

Oft würde es auch Warnsignale vor einem School Shooting geben. "Es gibt Studien dazu, dass tatsächlich die Mehrheit aller School Shootings vorher in irgendeiner Art und Weise publik gemacht wurden." Täter würden im Vorhinein Informationen durchsickern lassen, auf Social Media, als Manifeste oder mittels Kontakten, die aufrechterhalten werden. "Oft gar nicht so spezifisch, dass Ort und Zeit genannt werden, sondern man sieht vielleicht eine gewisse Hinwendung zu Waffen in Zusammenhang mit Rachephantasien."

{title && {title} } red, {title && {title} } Akt. 15.06.2025, 12:29, 15.06.2025, 07:00
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