Wie es Österreichs Wirtschaft wirklich geht, wie dringend das Land welche Reformen brauchen würde, um wieder vorn mitzuspielen, weiß aus der Praxis kaum jemand besser als Georg Knill, Präsident der Industriellenvereinigung (IV) und selbst Unternehmer.
Während die Bundesregierung seit Monaten versucht, Zuversicht zu verbreiten und bereits zarte Pflänzchen des Aufschwungs ortet, zeichnet Industrie-Präsident Knill im großen "Heute"-Talk (ganzes Interview im Video unten) ein Bild der Wirtschaft, das wenig mit Optimismus zu tun hat. Knills Befund: Österreich steckt tiefer in der Krise als viele wahrhaben wollen.
"Wir sehen diesen Aufschwung noch nicht“, sagt Knill. Es sei "eine hartnäckige Stagnation", die Betriebe würden mit halb vollen Auftragsbüchern, schleppenden Auftragseingängen und steigenden Kosten kämpfen. "Die Zuversicht ist begrenzt", bringt er die Lage auf den Punkt.
Der Industrieunternehmer spart nicht an klaren Worten – vor allem, was den Standort betrifft. Die Wettbewerbsfähigkeit sei "die größte Herausforderung", die Energiepreise "ein vitales Thema", dazu Lohnstückkosten und Bürokratie als Dauerbrenner. Österreich sei teuer – und werde im internationalen Vergleich abgehängt. Besonders die Abgabenlast treibe die Unternehmen an die Wand.
Die Zahlen, die Knill nennt, sind brisant: "Die Ausgabenquote des Staates beträgt 56 Prozent." Das seien sieben Prozent oder umgerechnet 35 Milliarden Euro jährlich, die Österreich mehr ausgibt als der EU-Durchschnitt.
„Jeder Tag, den wir länger warten, verschlimmert die Situation.“Georg KnillPräsident der Industriellenvereinigung
"Da müssen die Alarmglocken läuten, dass wir ein Problem in Österreich haben, das hausgemacht ist und das wir nur selbst wieder lösen können." Es gehe um Kostentreiber betreffend Pensionen, Pflege, Gesundheit, Bildung, Föderalismus– alles Themen, die lange bekannt seien.
"Wir haben kein Einnahmen-, sondern ein Ausgabenproblem", erklärt Knill. Milliarden an Effizienzpotenzial würden seit Jahren liegen gelassen, "weil es keine klaren Kompetenzverteilungen gibt zwischen Bund, Ländern und Kommunen".
Die angestrebte Reformpartnerschaft zwischen Bund, Ländern und Gemeinden geht dem Industriepräsidenten zu langsam voran.
Die Folgen seien dramatisch: Österreich verliere Wohlstand, Jahr für Jahr. "Unser Pro-Kopf-BIP ist heute am Stand von 2017. Wir haben acht Jahre Wohlstand verloren."
„Unser Pro-Kopf-BIP ist heute am Stand von 2017. Wir haben acht Jahre Wohlstand verloren.“Georg KnillPräsident der Industriellenvereinigung
Investitionen bleiben aus – und zwar nicht wegen Mangel an innovativen Ideen, sondern wegen fehlendem Vertrauen. Knill: "Jede Investition braucht den Glauben an die Zukunft und den Glauben an den Standort." Derzeit sei die zweite Frage "nicht positiv beantwortbar". Das Resultat: "Viele Investitionen werden nicht in Österreich getätigt, sondern anderswo."
Ob die Regierung das Ruder herumreißen könne? Knill appelliert: "Jeder Tag, den wir länger warten, verschlimmert die Situation."
Kaum ein Thema treibt die Industrie so sehr um wie die Energie. Viele Betriebe stehen laut Knill mit dem Rücken zur Wand. "Für eine Vielzahl der Industriebetriebe sind die Energiekosten ein vitales Thema."
Zwar begrüßt er die von der Regierung beschlossene Strompreiskompensation für die energieintensive Industrie – das ist ein wichtiges Signal" –, doch sei sie vor allem ein Pflaster – und zudem zeitlich begrenzt. Gleichzeitig presche Deutschland mit einem Industriestrompreis von fünf Cent voraus. Für Österreich ein Schlag ins Kontor: "Wir bekommen gegenüber Deutschland einen massiven Wettbewerbsnachteil."
Auch bei der Klimapolitik findet Knill deutliche Worte. Österreichs Ziel, bis 2040 klimaneutral zu sein, zehn Jahre vor dem EU-Ziel von 2050, sei ein Standortrisiko. "Das Ziel 2040 bringt dem Klima nichts, aber es kostet uns massiv." Kein anderes EU-Land ziehe dieses Tempo durch, Österreich müsse in viel kürzerer Zeit die gleichen Investitionen stemmen. "Ich erkenne keinen Vorteil durch die Übererfüllung."
Bis Jahresende will die Regierung eine neue Industriestrategie präsentieren – zumindest steht das im Regierungsprogramm. Für Knill ein wichtiges Signal – "aber jetzt braucht es politische Entscheidungen und Commitments". Der Prozess sei bisher gut gelaufen, doch nun müsse die Regierung zeigen, ob sie es ernst meint.
„Wir müssen ehrlich sagen: Es wird mehr Arbeit erforderlich sein, um den Wohlstand zu halten.“Georg KnillPräsident der Industriellenvereinigung
Beim Arbeitsmarkt sieht Knill ein weiteres ungelöstes Zukunftsproblem. "Mehr als 50 Prozent der Frauen arbeiten in Teilzeit." Und in den vergangenen zwei Jahren seien in Industrie, Bau und Gewerbe 36.000 Arbeitsplätze verloren gegangen – während die öffentliche Hand im selben Zeitraum 51.000 neue Jobs geschaffen habe. Knill sieht darin einen Schwenk von einem wertschöpfenden zu einem nicht wertschöpfenden Bereich: "Das wird sich budgetär nicht ausgehen können."
Und die klare Prognose: Sobald es wirtschaftlich wieder anzieht, wird Arbeitskräftemangel erneut zuschlagen. Knill: "Wir müssen ehrlich sagen: Es wird mehr Arbeit erforderlich sein, um den Wohlstand zu halten."