Profilerin über Amoklauf

"Womöglich wollte er sich rächen" – Expertin über Täter

In Graz tötet ein 21-Jähriger mehrere Menschen in einer Schule. Profilerin Patricia Staniek erklärt, was hinter solch grausamen Taten stecken kann.
13.06.2025, 08:40
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Ein 21-Jähriger hat in Graz an seiner ehemaligen Schule 10 Personen getötet und mehrere verletzt. Der Täter hat in zwei Klassen mit einer Pistole und einer Schrotflinte das Feuer eröffnet und um sich geschossen. Nach der Tat hat er sich in einer Toilette eingeschlossen und sich dann selbst gerichtet. Er sah sich als Mobbingopfer.

Profilerin Patricia Staniek äußert sich nun zur grausamen Tat und erklärt psychologische Hintergründe.

Ein 21-jähriger Ex-Schüler hat an einer Schule 10 Menschen getötet und danach sich selbst hingerichtet. Wie kann ein Mensch so etwas tun?

Solche Taten sind komplex und haben viele Ursachen. Meistens sind sie das Resultat mehrerer Faktoren, die über längere Zeit auf eine Person einwirken. Viele Täter erleben eine schwierige Kindheit und Jugend. Manche fühlen sich bedeutungslos und minderwertig. Auch das Gefühl von Unterlegenheit oder – wie in diesem Fall – mutmaßliches Mobbing kann eine Rolle spielen.

Inwiefern?

In der Adoleszenz, dem Übergang vom Kind zum Erwachsenen, entstehen bei manchen Jugendlichen starke Zweifel: an sich selbst, an der Zugehörigkeit zur Gesellschaft, an ihrer Rolle im Leben. Sie fühlen sich ohnmächtig. Der Wunsch, die Kontrolle zurückzugewinnen, kann zu gewalttätigen Fantasien führen – und schließlich zur Tat.

Patricia Staniek

Patricia Staniek ist eine österreichische Verhaltensanalystin (Profilerin), Betriebswirtin mit Schwerpunkt Wirtschaftskriminalität und Kriminologie und akademische Expertin für Sicherheitsmanagement. Sie analysiert menschliches Verhalten in komplexen Situationen – etwa in der öffentlichen Sicherheit, der Justiz oder der Wirtschaft.

Zudem bildet sie Polizei, Justiz, Sicherheitsdienste und Führungskräfte in Profiling, strategischer Vernehmung und Verhaltensanalyse aus.

Laut Medienberichten sah sich der mutmaßliche Schütze als Mobbingopfer.

Täter berichten oft von Mobbing, Ausgrenzung und Demütigung. Solche Erfahrungen bauen sich über Jahre auf und graben sich tief in die Psyche ein. Auch Einsamkeit, fehlender Halt in der Familie und schwache soziale Bindungen können dazu führen, dass Täter ein eigenes Narrativ entwickeln. Wut entsteht – sie sehen sich in einer feindlichen und ungerechten Welt.

Der mutmaßliche Schütze war ein ehemaliger Schüler. Warum kehrte er an die Schule zurück?

Vermutlich, weil der Ort für ihn mit dem Mobbing verbunden war – Täter kehren oft an jenen Ort zurück, wo sie ihr Leid erlebt haben. Womöglich wollte er sich rächen.

Solche Taten reifen oft über längere Zeit. Irgendwann reichen die inneren Kompensationen nicht mehr – die Tat erscheint als letzter Ausweg. Daraus entsteht eine Form von Selbstradikalisierung: Die Täter glauben, durch solche Taten Bedeutung zu erlangen. Sie wollen sich "in die Gesellschaft einbrennen" – jeder soll sich an sie erinnern, wenn sie tot sind.

Der Verdächtige war laut Medienberichten mit einer Pistole und einer Langwaffe bewaffnet.

Viele Täter orientieren sich an früheren Amokläufen, die sie aus den Medien kennen – dieser Effekt wird als "Copycat" bezeichnet. Häufig beschäftigen sie sich intensiv mit Gewalt, Waffen, subkulturellen Inhalten oder gewaltverherrlichenden Spielen.

Pistolen sind handlich, leicht zu verstecken und schnell zu bedienen. Sie eignen sich, um viele Menschen in kurzer Zeit zu töten. Schrotflinten wirken auf kurze Distanz besonders zerstörerisch, sind aber schwerer zu verstecken. Wer beide Waffen mitführt, will oft zusätzlich abschrecken. Fast alle Amokläufer interessieren sich stark für Waffen – als Mittel zur Kontrolle und Machtausübung.

Was bedeutet ein Amoklauf für Schüler, die ihn miterleben? Kann man ein solches Erlebnis überhaupt verarbeiten?

Ein Amoklauf ist ein traumatisches Erlebnis, das sich kaum ganz verarbeiten lässt. Es hinterlässt seelische Narben, die viele ein Leben lang begleiten. Wichtig ist, dass das Erlebte in der Schule und im privaten Umfeld behutsam und langsam aufgearbeitet wird.

Die Verarbeitung ist individuell: Manche kommen einigermaßen zurecht – andere verdrängen das Geschehene. Jeder reagiert anders. Darauf muss man eingehen. Entscheidend ist: Kinder und Jugendliche brauchen feste Bezugspersonen. Das müssen nicht die Eltern sein – sie sind oft selbst überfordert oder traumatisiert. Umso wichtiger sind stabile Fachpersonen, die auf die jungen Menschen eingehen. Konkret: Es muss jemand da sein, der sie auffängt. Nur so ist echte Verarbeitung möglich.

{title && {title} } 20 Minuten,red, {title && {title} } Akt. 13.06.2025, 08:54, 13.06.2025, 08:40
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