Pilates gehört schon seit Monaten zu den beliebtesten Sportarten im Netz. Auf Social Media, vor allem auf TikTok, zeigen sich junge Frauen, wie sie sich beim Pilates richtig auspowern. Die Videos generieren nicht nur Millionen Klicks, sondern verändern das Schönheitsideal unter jungen Mädels. In den Kommentaren wünschen sich Frauen den heißbegehrten Pilates-Body – diesen sich zu "erarbeiten" ist aber kaum möglich.
"Es ist, als würden wir wieder zurück in die 80er-Jahre katapultiert werden – mit Jane Fonda-Videos, Schlüpfer-Aerobic und unerreichbaren Körperidealen", erzählt Rima, Besitzerin des Zürcher Studios "Trunk Pilates", gegenüber "20 Minuten". Seit über acht Jahren unterrichtet sie Pilates. Die Nachfrage steigt, doch mit dem Boom treten auch verzerrte Erwartungen auf: "Zwar hatte ich noch nie eine Kundin, die gesagt hat: 'Ich will aussehen wie eine Tänzerin', aber man spürt es oft zwischen den Zeilen. Einige kommen, weil sie hoffen, ihren Körper zu formen und lange, schlanke Muskeln zu bekommen", so Rima.
Allerdings hat der Pilates-Body aus den sozialen Netzwerken mit der Realität im Studio wenig gemeinsam. Das Ideal prägen meist groß gewachsene Frauen mit langen Gliedmaßen, niedrigem Körperfettanteil und leichter Muskeldefinition. Dabei handelt es sich um Eigenschaften, die in erster Linie von der Genetik bestimmt sind.
"Muskeln können sich nicht verlängern. Das ist genetisch vorgegeben", sagt William Kraemer, Professor für Kinesiologie, gegenüber der "New York Times". "Wenn deine Figur definiert aussieht, bedeutet das normalerweise, dass du von Natur aus einen geringeren Körperfettanteil hast und dich höchstwahrscheinlich gesund ernährst", so Kraemer.
Pilates kann vieles: Es verbessert die Haltung, stärkt die Tiefenmuskulatur, kurbelt die Körperspannung an und entlastet die Wirbelsäule. Was es allerdings nicht kann: sichtbare Muskelmasse aufbauen, Gliedmaßen straffen, Muskeln verlängern oder beim Abnehmen helfen. "Wenn du abnehmen willst, musst du deine Ernährung umstellen. Pilates macht dich nicht schlanker, aber dafür stärker, aufrechter und zufriedener", so die Trainerin aus Zürich.
Und genau darin liegt der eigentliche Wert. Viele von Rimas Kunden berichten nach einigen Monaten Training davon, dass ihr Rücken nicht mehr schmerzt, sie aufrechter gehen oder sie sich schlicht stärker fühlen. "Ich bekomme oft Mails von jungen Frauen, die schreiben, dass Pilates ihnen Selbstbewusstsein gegeben hat", erzählt die "Trunk Pilates"-Besitzerin. "Das ist für mich der schönste Effekt."
"Diese positive Wirkung auf die Gesundheit und das Wohlbefinden geht jedoch verloren, wenn Studios mit Schlagwörtern wie 'toned' oder 'sculpted' werben", warnt Rima. Wer bereits auf der Suche nach einem Pilates-Studio ist, wird gemerkt haben, dass die Trainingseinheiten schön teuer werden können. Aus dem Hype wird ein lukratives Geschäftsmodell: Studios sprießen wie Pilze aus dem Boden, eine Gruppenstunde auf dem Reformer-Gerät kostet im Durchschnitt 50 Euro – manchmal mehr. Im Preis inbegriffen? Ästhetisch ansprechende Studios, deren Hintergründe sich vor allem für Instagram-Fotos eignen.
Am Ende stellt Rima allerdings klar: "Pilates macht dich nicht zu einer Ballerina, es kann viel mehr. Nämlich dich aufrechter, stärker und zufriedener machen, und genau hier liegt der wahre Effekt."