Seit die Regierung den Kampf gegen hohe Supermarktpreise ganz oben auf ihre Agenda geschrieben hat, ist Rainer Will, Chef des Handelsverbands – der unabhängigen Interessensvertretung des österreichischen Handels mit 4.500 Mitgliedern –, Dauergast in Kanzleramt und Ministerien. Ihm obliegt es, der Politik dazulegen, wie die Preise in Österreich entstehen, welche Rolle der Handel hat und unter welchen Rahmenbedingungen Lebensmittel tatsächlich billiger werden könnten in Österreich.
"Es ist schade, dass die Politik einen Keil treibt zwischen die Bevölkerung und den Handel", sagt Will im "Heute"-Interview (ganzer Talk im Video unten) – würden doch die Supermärkte als "Schuldige" an Preisanstiegen hingestellt, wenn die Politik etwa eine "Aktion scharf" gegen "Rabattschwindel" oder Mogelpackungen ankündige.
Rainer Will über:
"Das kann die Politik – allerdings muss sie korrekt ansetzen: bei den Ursachen und nicht bei der Wirkung. Eine wesentliche Ursache sind die hohen Energiekosten, die über die landwirtschaftliche Produktion bis zur Kühlung im Regal entlang der ganzen Lebensmittelwertschöpfungskette wirken."
Außerdem hält Will fest: "Wir haben mittlerweile im Lebensmittelhandel 31 Prozent höhere Lohnkosten als in Deutschland. Vergleicht man die Eurozone, liegen wir mehr als 59 Prozent über dem Durchschnitt."
Ganz grundsätzlich seien die vergleichsweise etwas höheren Lebensmittelpreise in Österreich "das Ergebnis aus höheren Löhnen, höheren Energiepreisen, mehr Bürokratie, einer höheren Mehrwertsteuer, unterschiedlicher Topografie und höheren Logistikkosten".
„Es wäre günstiger, wenn wir Fleisch nur aus Tierfabriken im Ausland beziehen. Aber wollen wir, dass wir damit die regionalen Produzenten abschaffen, dass noch mehr Landwirte aufgeben?“Rainer WillGeschäftsführer des Handelsverbands
Und hierzulande werde großer Wert auf Qualität und Tierwohl gelegt: "Man möchte, dass die Tiere mehr Auslauf haben als beispielsweise in Deutschland oder in Osteuropa. Daher sind die Lebensmittel für uns schon in der Beschaffung teurer. Es wäre natürlich günstiger, wenn wir Fleisch nur aus Tierfabriken im Ausland beziehen. Aber wollen wir, dass wir damit dann die regionalen Produzenten abschaffen, dass noch mehr Landwirte aufgeben, dass vier Insolvenzen pro Tag im Handel noch mehr werden?"
"Internationale Markenartikelproduzenten teilen sich die EU-Staaten wie Tortenstücke auf. Und der heimische Handel wird gehindert, sich die Waren zum günstigsten Preis zu beschaffen."
Österreich als kleines Land habe hier definitiv einen Nachteil. Will: "Hier kann die Politik etwas ändern, indem sie diese territorialen Lieferbeschränkungen auf europäischer Ebene bekämpft." Das geschehe ja tatsächlich auch. Das Schadensausmaß für die europäischen Konsumenten liege bei 19 Milliarden Euro.
Die Praxis widerspreche den Regeln des europäischen Binnenmarktes: "Der Landwirt, der Produzent darf überall in Europa Waren beschaffen, der Kunde darf überall einkaufen – nur der Händler wird an den Grenzen abgewiesen."
„Rewe hat in harten Preisverhandlungen einmal Haribo und Mars ausgelistet. Was war die Folge? Alle Kunden sind sofort zu Spar, Hofer und Lidl gerannt.“Rainer WillGeschäftsführer des Handelsvderbands
Das Problem sei, dass in der Diskussion stets die großen Lebensmittelketten angegangen würden – dabei stecke eine Monopolsituation auf Produktebene dahinter. Will nennt ein Beispiel: "Rewe hat in harten Preisverhandlungen irgendwann einmal Haribo und Mars ausgelistet. Was war die Folge? Alle Kunden sind sofort zu Spar, Hofer und Lidl gerannt, um die Produkte trotzdem zu bekommen. Die Kunden sind diesbezüglich total illoyal."
Was sagt Handelsprofi Will zu der um sich greifenden Praxis, dass bei gleichem Preis und gleicher Verpackungsgröße einfach weniger drin ist? "Wir als Handel wollen das auch nicht, weil es eine negative Diskussion ist und wir für Transparenz und Wahlfreiheit stehen."
Zur Kennzeichnungspflicht, wie viel in der Packung drin ist, sagt Will: "Das muss verursachergerecht der Hersteller machen. Wir wollen keinesfalls unsere 140.000 Beschäftigten im Lebensmittelhandel wieder über Gebühr belasten, indem sie am Regal in 9.400 Geschäften eine weitere Kennzeichnung vornehmen müssen. Das war ja auch der ursprüngliche Vorschlag: dass man es nicht am Regal, sondern direkt am Produkt deutlich kennzeichnet."
Allerdings gebe es jetzt ein Urteil aus Italien, dass es im Sinne des freien Warenverkehrs diskriminierend sei, wenn in einem Land Produkte entsprechend gekennzeichnet sein müssen und in anderen nicht. "Wir empfehlen daher der Regierung, auch dieses Thema auf EU-Ebene zu diskutieren und zu lösen."
Bis dahin schlägt Will eine "Veröffentlichungspflicht" für Hersteller vor, wenn sie "die Grammatur senken, ohne die Verpackungsgröße zu ändern. Ähnlich wie bei Produktrückrufen, die auch publiziert werden müssen.
Sozialministerin Korinna Schumann (SPÖ) hat mit dem Verein für Konsumenteninformation (VKI) die großen Supermarktketten geklagt – wegen des Vorwurfs, die Kunden würden bei Rabatten mit falschen Vergleichspreisen in die Irre geführt.
Handelsverbands-Chef Will dazu: "Das ist wieder ein Musterbeispiel, wie eine unsaubere Politik funktioniert. Zwei Wochen lang wurden die Handelsketten als Sünder hingestellt, ohne dass ihnen die Klagen schon zugestellt waren. Informationen haben wir auf Nachfrage beim Wiener Marktamt auch keine bekommen. Und dann stellt sich heraus, dass es insgesamt um neun Fälle geht. Bei Rabatten muss als Vergleichswert der niedrigste Preis der letzten 30 Tage angegeben werden – das ist in neun Fällen nicht korrekt geschehen. Bei 25.000 Produkten pro Supermarkt, sei angemerkt."
"Die durchschnittliche Gewinnmarge liegt unter einem Prozent, Richtung 0,5 Prozent. Wenn es auf null Prozent geht, ist der Lebensmittelhandel eine Non-Profit-Organisation. Im Gegensatz zu global agierenden Markenartikelproduzenten, wo die Margen oft bei 10 bis 30 Prozent liegen."
„Das ist ungefähr so, wie wenn Rewe bei Spar, Spar bei Hofer und Hofer bei Lidl beteiligt wäre.“Rainer WillGeschäftsführer des Handelsverbands
Dass die Politik die Problematik oft öffentlichkeitswirksam über einen Kamm schert, ärgert Will: "Wenn ein Ministerium sich herstellt und eine Aktion scharf ausruft gegen den Lebensmittelhandel, der keine Margen hat und in jeder Region die Nahversorgung sicherstellt, dann ist das nicht in Ordnung. Die Politik würde gut daran tun, an der Wurzel anzusetzen, aber auch bei der Sprache abzurüsten."
"Der Handel bekommt jetzt keine Strompreisbremse oder Ähnliches. Bei all diesen Förderungen hat der Handel schon immer den Kürzeren gezogen. Der Strompreisanstieg, heuer wieder um 35 Prozent, trifft den Handel mit voller Wucht. Hier sollte und könnte die Politik eingreifen, indem man beispielsweise den Gaspreis vom Strompreis entkoppelt. Aber da ist bedauerlicherweise noch nichts geschehen."
Dafür hat Will auch eine Erklärung: "Wenn ich mir anschaue, wer bei den Energieversorgern beteiligt ist – die Länder und die Unternehmen untereinander. Das ist ungefähr so, wie wenn Rewe bei Spar, Spar bei Hofer und Hofer bei Lidl beteiligt wäre."
Zu Vorwürfen, dass im Handel fast ausschließlich Teilzeitstellen angeboten würden, stellt Will klar: "Die Realität ist, dass wir laut AMS rund 8.500 offene Vollzeitstellen haben in allen Regionen. Das heißt, wenn jemand Vollzeit im Handel tätig sein möchte, dann kann er das."