Neue gesetzliche Regelungen für Trinkgeld, Absicherung freier Dienstnehmer, Inflations-Abgeltung nicht für alle Pensionisten – das soll unter anderem diese Woche im Parlament beschlossen werden. Außerdem tüftelt die Regierung an der lang erwarteten Sozialhilfe Neu und an Maßnahmen gegen die Teuerung. Im "Heute"-Interview nimmt Arbeits- und Sozialministerin Korinna Schumann (SPÖ) Stellung zu den brisanten Themen aus ihrem Ressort.
"Heute": Frau Ministerin, im Nationalrat sollen diese Woche einige arbeits- und sozialpolitische Neuregelungen beschlossen werden. Unter anderem sollen freie Dienstnehmer besser abgesichert werden. Worauf liegt der Fokus?
Korinna Schumann: Wir haben hier ein Paket mit zwei wichtigen Maßnahmen vorliegen, über die ich mich als Arbeitsministerin, aber auch als Gewerkschafterin besonders freue. Nahezu alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Österreich – knapp 98 Prozent – fallen heute in den Anwendungsbereich eines Kollektivvertrages. Dieser regelt nicht nur ihre Rechte und Pflichten in Bezug auf ihr Arbeitsverhältnis, sondern auch das Mindestentgelt, das regelmäßig zwischen den Kollektivvertragsparteien neu verhandelt wird.
Die geltende Rechtslage ermöglicht es derzeit nicht, Kollektivverträge auch für freie Dienstnehmer abzuschließen. Diese Lücke schließen wir jetzt. Für freie Dienstnehmer soll künftig die Möglichkeit bestehen, durch Kollektivverträge Mindeststandards festzulegen.
Neu ist auch, dass für freie Dienstverhältnisse eine Kündigungsfrist von vier Wochen gilt, die sich ab dem zweiten Dienstjahr auf sechs Wochen erhöht.
Bieten nicht freie Dienstverträge generell Betrieben Schlupflöcher, um sich vor regulären Dienstverträgen zu drücken?
Es stimmt, dass freie Dienstverhältnisse nicht demselben arbeitsrechtlichen Schutz unterliegen, wie klassische Arbeitsverhältnisse. Historisch war das mit der Besonderheit des freien Dienstverhältnisses begründet, bei dem unter anderem die Einordnung in den betrieblichen Organisationsablauf, eine vorgegebene Arbeitszeit nicht oder nur sehr eingeschränkt gegeben sind. Die Flexibilität wird aber regelmäßig nur einseitig gelebt: Man schreibt auf den Vertrag "freier Dienstvertag", lässt die Beschäftigten aber nach den Regeln eines klassischen Arbeitsverhältnisses arbeiten, ohne ihnen die Vorteile zukommen zulassen, die ihnen zustehen würden, wären sie korrekt angemeldet.
Der Fall eines bekannten Essenszustellers hat uns bereits im März 2025 verdeutlicht, wie wichtig es war, sich dieses Themas anzunehmen.
Beschlossen wird auch die Neuregelung der Trinkgeldpauschalen. Warum müssen auf Trinkgelder überhaupt Sozialversicherungsabgaben entrichtet werden?
Trinkgeld ist ein Entgeltbestandteil als Entgelt Dritter und dadurch nach dem Gesetz beitragspflichtig. Dadurch wird sichergestellt, dass das Trinkgeld in die Berechnung der Pension, des Krankengeldes, Reha-Geldes oder Arbeitslosengeldes einfließt. Diese Leistungen sind darauf ausgerichtet, den Lebensstandard der Bezieher zu erhalten, weshalb es wichtig ist, auch Entgelt Dritter in die Beitragsgrundlage miteinzubeziehen.
Auch die Pensionsanpassung für 2026 soll das Parlament passieren. Tut es weh, dass nicht alle die volle Inflationsanpassung bekommen?
Natürlich macht das keine Freude. Trotz der schwierigen Ausgangssituation war es mir wichtig, eine sozial gerechte Anpassung zu verhandeln und dabei besonders auf jene Menschen mit kleinen und mittleren Pensionen Bedacht zu nehmen. Das ist uns gelungen – 71 Prozent der Pensionistinnen und Pensionisten erhalten 2026 die volle Inflationsabgeltung in der Höhe von 2,7 Prozent. Besonders die Frauen profitieren von der vollen Abgeltung. Bei allen mir im Vorfeld ausgerichteten Vorschlägen (2 Prozent oder 2,2 Prozent) wären die Pensionistinnen und Pensionisten deutlich schlechter ausgestiegen.
„Wenn ich mich jetzt schon öffentlich festlege, wie die Einzelteile aussehen sollen, werden wir nie eine Sozialhilfe-Reform hinbekommen.“Korinna SchumannArbeits- und Sozialministerin (SPÖ)
Stichwort Sozialhilfereform: Bei der Auftaktsitzung mit den Ländervertretern wurden Arbeitsgruppen gebildet. Zu welchen Themen?
Eine Arbeitsgruppe beschäftigt sich mit dem AMS und den Schnittstellen in den Bundesländern. Die zweite Arbeitsgruppe beschäftigt sich mit der Legistik. Diese Arbeitsgruppe hat sich bereits zu einem ersten konstruktiven Austausch getroffen, jene zu den Schnittstellen wird diese Woche zusammentreffen.
Wird die geplante Integrationsphase für Zuwanderer rechtlich halten? Oder muss man vielleicht eine "Wartefrist" mit reduzierter Leistung für alle einziehen, die noch nichts ins System eingezahlt haben?
Wir haben es mit einer extrem komplexen Materie zu tun. Wenn ich mich jetzt schon öffentlich festlege, wie die Einzelteile aussehen sollen, werden wir nie eine Reform hinbekommen. Wichtig ist, dass die Reform verfassungs- und EU-rechtlich hält. Wir können uns alle noch daran erinnern, als die Sozialhilfereform unter Türkis-Blau vom Verfassungsgerichtshof zurückgeworfen wurde.
„Lebensmittel, Wohnen und Energie müssen für alle Menschen leistbar sein.“Korinna SchumannArbeits- und Sozialministerin (SPÖ)
Laut Statistik Austria kommt ein Drittel der Bevölkerung schlechter mit dem Einkommen aus als vor einem Jahr. Tut die Regierung genug gegen die Teuerung?
Die Lebensmittelpreise sind in den letzten Jahren explodiert. Wir sagen Tricksereien bei Rabatten und Mogelpackungen den Kampf an und setzen uns auf EU-Ebene dafür ein, dass der unfaire 'Österreich-Aufschlag' endlich abgeschafft wird. Lebensmittel, Wohnen und Energie müssen für alle Menschen leistbar sein. Mein Haus hat wichtige Maßnahmen für mehr Transparenz bei Lebensmitteln auf den Weg gebracht.
Mit dem Energiekrisenmechanismus und dem Sozialtarif für Strom schieben wir zukünftigen Preissprüngen einen Riegel vor und bekämpfen Energiearmut. Und mit dem Mietpreis-Stopp bei regulierten Mieten und einer Preisbremse bei unregulierten Mieten machen wir Wohnen leistbarer. Dazu kommt der Wohnschirm aus meinem Haus, mit dem Wohnungslosigkeit verhindert beziehungsweise beendet werden kann.
Wieder in Diskussion ist eine Mehrwertsteuersenkung auf Grundnahrungsmittel. Sollte eine solche Maßnahme, welche die Konsumentinnen und Konsumenten unmittelbar spüren würden, nicht Priorität haben?
Vizekanzler Andreas Babler und Finanzminister Markus Marterbauer haben sich darauf verständigt, weitere Modelle zur Bekämpfung der Teuerung wie die Mehrwertsteuersenkung bei Grundnahrungsmitteln anzudenken – es muss allerdings die Gegenfinanzierung sichergestellt sein, die Maßnahmen müssen die Inflation senken und die Reduktion muss auch an die Konsumentinnen und Konsumenten weitergegeben werden.
„Bruttolohn von ganzen 2,3 Milliarden Euro, die den Beschäftigten und den Abgabenbehörden entgehen.“Korinna SchumannArbeits- und Sozialministerin (SPÖ)
Die Regierung arbeitet an einem Betrugsbekämpfungs-Paket: Worauf sollte aus Sicht des Sozialministeriums der Fokus liegen?
Es sind aktuell zwei Pakete in Verhandlung. Einerseits schnürt das Finanzministerium mit der Unterstützung meines Hauses ein Paket mit einem Volumen von 270 Millionen Euro allein im Jahr 2026 zur Vermeidung von Steuerverschiebungen, Steuerbetrug und unerwünschten Steuervermeidungen. Andererseits arbeitet mein Haus gerade an einem arbeitsrechtlichen Paket, mit dem die Sanktionen im Gesetz gegen Lohn- und Sozialdumping verschärft werden sollen.
Allein im Jahr 2024 wurden über 40 Millionen Mehr- und Überstunden weder in Zeit noch in Geld abgegolten, das entspricht einem entgangenen Bruttolohn von ganzen 2,3 Milliarden Euro, die den Beschäftigten und den Abgabenbehörden entgehen. Dieser Umstand ist in Zeiten einer anhaltenden Teuerung nicht hinnehmbar – und es ist nur die Spitze des Eisbergs. Solange die Sanktionen für derartige Machenschaften nicht abschreckend und wirkungsvoll sind, werden wir dieses Problem nicht in den Griff bekommen.
„Die Erhöhung der Saisonkontingente macht die Bemühungen des AMS zur überregionalen Vermittlung von Arbeitsuchenden in Österreich nicht leichter.“Korinna SchumannArbeits- und Sozialministerin (SPÖ)
Die Koalition erhöht die Kontingente für Saisonarbeitskräfte aus dem Ausland. Bei uns steigt die Arbeitslosigkeit weiter. Wie geht das zusammen?
Die Erhöhung der Saisonkontingente im Tourismus ist Teil des Regierungsprogramms. Gleichzeitig muss uns aber auch bewusst sein, dass diese Erhöhung der Saisonkontingente die Bemühungen des AMS zur überregionalen Vermittlung von Arbeitsuchenden in Österreich nicht leichter macht.
Ich möchte aber auch den Tourismusbeschäftigtenfonds betonen, den wir vergangene Woche nach dem Ministerrat präsentiert haben. Der Fonds ist ein Instrument, das gezielt Qualifizierung, Weiterbildung und bessere Arbeitsbedingungen fördert. Es stehen jährlich 6,5 Millionen Euro zur Verfügung, um branchenspezifische Qualifizierungen und Sonderunterstützungen bei Arbeitsunfällen oder Arbeitslosigkeit zu ermöglichen.