Kriegstreiber Wladimir Putin sagt es inzwischen so deutlich wie nie: Er wird nicht aufhören. "Entweder wir erobern diese Gebiete mit Gewalt, oder die ukrainischen Truppen ziehen sich zurück", erklärte der russische Präsident am Freitag im indischen Fernsehen.
In der Ukraine selbst konzentriert sich das Schwergewicht der russischen Angriffe weiter auf den Bereich Pokrowsk. Die Stadt ist Anfang Dezember gefallen. Kyjiw selbst spricht allerdings von anhaltenden Kämpfen.
Oberst Markus Reisner hatte bereits vor knapp zweieinhalb Wochen von einer de facto Eroberung von Pokrowsk durch die Russen gesprochen. Es sei schon damals absehbar gewesen, sagt er auf n-tv und erklärt die Diskrepanz in den offiziellen Aussagen mit einem allzu bildlichen Vergleich: "Stellen Sie sich vor, Sie haben eine Senftube und Sie drücken diese Senftube aus. Dann wissen Sie, am Ende, kurz vor dem Verschluss, ist noch etwas drinnen. Da tun Sie sich schwer, das herauszubekommen."
Genau so sei es nun in Pokrowsk. "Die Senftube ist im Prinzip leer, aber im letzten Stückchen ist noch ein bisschen drinnen." Die ukrainischen Berichte würden sich auf einige wenige Häuserblocks beziehen, die noch unter ihrer Kontrolle stehen, kritisiert Reisner. "Aber die Stadt selbst ist im Prinzip gefallen."
Die Russen wiederum würden diese Häuserblocks nicht mehr Mann um Mann freikämpfen, sondern – "und das ist das Fatale" – mit bis zu 1.500 Kilo schweren Gleitbomben einfach dem Erdboden gleichmachen. Das sei auch im benachbarten Myrnohrad zu beobachten.
Südlich davon sind neue russische Anstrengungen in Richtung Saporischschja im Westen zu beobachten. Weiter nördlich haben Kreml-Truppen Siwersk im Oblast Donezk auf zwei Seiten umfasst. "Wenn Siwersk fällt, kann es sein, dass die Front relativ rasch bis nach Slowjansk und Kramatorsk springt", schildert der Bundesheer-Oberst in seiner jüngsten Lageanalyse.
Vom bisherigen taktischen Vorgehen der Russen ist kein Abrücken erkenntlich. Sie dringen mit kleinen Stoß- und Sturmtrupps vor, versuchen so zwischen den ukrainischen Stellungen durchzusickern. Ist eine Lücke gefunden, sammeln sie sich im Hinterland und schlagen dann, begleitet von massiven Gleitbomben-Angriffen zu. "Das führt dazu, dass die Russen zwar langsam aber doch stetig vormarschieren."
Dennoch sieht Reisner eine Zäsur: "Der 28-Punkte-Friedensplan und die Diskussion darum haben eine neue Phase, die Phase 9, des Krieges eingeläutet." Diese sei geprägt von intensivierten Angriffen der Russen, auch im Süden, um dort ukrainische Reserven zu binden. Er spricht deshalb bereits von einer neuen Winter-Offensive.
Die Ukraine versuche derweil mit ihrer Luftkampagne gegen Ziele in Russland und Tanker in Putins Schattenflotte, Initiative zu zeigen. Diese hätten auch messbare Erfolge, doch: "Die Ukraine hat zunehmend weniger Handlungsoptionen. Vor allem wird auf strategischer Ebene immer klarer, dass trotz der nicht vorhandenen Einigung, dass Trump nicht bereit ist, die Ukraine weiter zu unterstützen. Aus seiner Sicht hat die Ukraine keine Karten, die sie spielen kann."
Der international angesehene Kriegsanalyst sieht drei Möglichkeiten, wie dieser Konflikt enden könnte.
All diese Szenarien haben allerdings eines gemeinsam: die Ukraine verliert Territorium. Die Führung in Kyjiw werde sich, realistisch gesehen, auf Gebietsverluste einlassen müssen, sagt Reisner.
"Wenn ein Verteidiger es nicht schafft, sich gegen einen Aggressor zur Wehr zu setzen und die engsten Verbündeten ihn nicht mehr unterstützen, weil sie nicht wollen (USA) oder nicht dazu in der Lage sind (EU), muss er dann zähneknirschend aber doch einen Frieden schließen, um zu vermeiden, dass das Land völlig zerstört wird. Und das ist immer noch die große Gefahr: dass Russland nicht aufhört."
Dazu betont der Historiker und Offizier: "Russland führt diesen Krieg nicht alleine." Im Gegensatz zur Ukraine erhalte Russland tatkräftige Unterstützung aus China und Indien, aber auch Nordkorea und anderen Ländern. Der chinesische Außenminister habe bei einem Treffen der EU-Außenbeauftragten Kaja Kallas ganz klar ins Gesicht sagt, dass China kein Interesse an einer Niederlage Russlands in der Ukraine habe, weil sich die USA dann seinem Land zuwenden würden.
"Das ist eine ganz klare Aussage und darf man nicht negieren, indem man sagt, die Russen haben nicht mal ein BIP wie die Schweizer und das ist ja gleich einmal erledigt", warnt Reisner. "Dieser Täuschung sind wir jetzt mehrere Jahre auferlegen. Ich habe immer gesagt, entweder man geht all-in und nimmt die Sache ernst, aber macht es nicht halbherzig, wie es jetzt gemacht wurde, oder man sagt klar, dass man dazu nicht bereit ist."
Er geht mit den europäischen Verbündeten der Ukraine hart ins Gericht: "Das, was wir jetzt tun, ist aus meiner Sicht höchst unmoralisch. Das verlängert das Elend nur von Woche zu Woche, Monat zu Monat, von Jahr zu Jahr. Und es sterben Zehntausende, Hunderttausende Menschen für einen sehr ungewissen Ausgang."
Die Ukraine müsse nun versuchen, die noch vorhandenen Optionen auszuloten. So hätte es im ersten Kriegsjahr nach der erfolgreichen Gegenoffensive eine perfekte Gelegenheit gegeben, um zu verhandeln. Die Russen waren geschwächt, die Unterstützung Chinas noch nicht so ausgeprägt. Der amerikanische Generalstabschef Mark A. Milley sei für diesen öffentlichen Vorschlag damals aber gescholten worden, beklagt der österreichische Beobachter.
Jetzt steuere der Krieg wieder auf eine derartige Situation zu, allerdings habe sich das Blatt inzwischen zugunsten der Russen gewendet. Sollten die USA ihre Unterstützung vollständig einstellen und Europa das nicht kompensieren können, stehe die Ukraine vor einer Schicksalsentscheidung: "Sie muss entscheiden, ob sie riskieren soll, weiterzukämpfen, oder ob sie möglicherweise dann vor der Gesamtvernichtung steht – zumindest im Sinne davon, ob der Osten komplett abgetrennt wird."
Europa brauche sich nicht wundern, dass es bei den Verhandlungen von Russland und den USA fast vollständig ignoriert werde: "Wir sehen hier wieder, dass große Mächte mit militärischer Macht, darunter auch Nuklearwaffen, diese Macht projizieren und sich nehmen, was sie wollen, und eigene Regelungen treffen."
Die USA, Russland und China würden sich die Welt jetzt "skrupellos" neu aufteilen. "Das ist DIE Warnung an Europa, dass wir militärisch nicht oder nur sehr eingeschränkt relevant sind. Wenn wir uns hier nicht selbstbewusst aufstellen, werden wir es sehr schwer haben, in diesem Mächtespiel ernst genommen zu werden und auch Deals machen zu können, die unsere Sicherheit über die nächsten Jahrzehnte besiegeln."