Sozialhilfe, Mindestsicherung

"Es ist zu viel" – AMS-Chef Kopf lässt jetzt aufhorchen

AMS-Chef Johannes Kopf zieht zehn Jahre nach der Flüchtlingswelle Bilanz – und spricht Klartext über Integration, Sozialhilfe und falsche Anreize.
André Wilding
01.09.2025, 09:14
Loading...
Angemeldet als Hier findest du deine letzten Kommentare
Alle Kommentare
Meine Kommentare
Sortieren nach:

Kommentare neu laden
Nach oben

AMS-Chef Johannes Kopf spricht in einem Interview mit dem Nachrichtenmagazin "profil" Klartext! Zehn Jahre nach dem großen Zustrom an Geflüchteten sieht er zwar Erfolge – aber auch massive Probleme. "Die Integration in den Arbeitsmarkt funktioniert. Sie ist teuer, aber aus meiner Sicht alternativlos, weil die Nichtintegration noch teurer ist als die Integration", stellt Kopf unmissverständlich klar. Und er rechnet vor: Ein Deutschkurs koste weniger als ein Monat Mindestsicherung.

"Integrationskurve steiler, als ich erwartet habe"

Besonders positiv hebt der 52-jährige Wiener die Entwicklung afghanischer Geflüchteter hervor: "Am meisten haben mich die Afghanen überrascht. Da haben wir alle gedacht: Wie soll uns das gelingen? Da sind so viele, die ganz niedrig qualifiziert sind. Aber deren Integrationskurve ist weitaus steiler, als ich erwartet habe." Skeptischer zeigt er sich bei Syrern, obwohl diese häufig besser gebildet seien. Das Problem: Langer Anerkennungsprozess für akademische Abschlüsse.

"Das Extrembeispiel ist der syrische Arzt. Wir haben über die Jahre 200 Ärzte bei der Nostrifikation begleitet. Um einen Arzt zu nostrifizieren, muss er Deutsch auf Matura-Niveau können. Dann erst kann er die Ergänzungsprüfungen auf der Uni machen. Im Schnitt dauert dieser Prozess drei Jahre. Und ich möchte natürlich von einem Arzt behandelt werden, der mich gut genug versteht", erklärt Kopf gegenüber dem Nachrichtenmagazin.

Niedrige Beschäftigungsquote von Frauen

Kopfschmerzen bereiten Kopf vor allem Frauen aus Syrien und Afghanistan. Viele seien vom AMS abgemeldet, sobald der Mann verdient. "Die Beschäftigungsquote von Frauen aus Syrien und Afghanistan ist so niedrig wie bei Österreicherinnen in den 1960er-, 1970er-Jahren. Das sind einfach Frauen, die zu Hause bleiben", sagt der AMS-Chef zum "profil". Noch besorgniserregender sei es aber, wenn sich auch junge Mädchen "bei uns nicht für die Jobsuche melden, weil sie zu Hause bleiben und ihren Müttern helfen."

Zur Debatte ums Kopftuch bleibt Kopf sachlich: "In manchen kundennahen Jobs wird es nicht gewünscht – dann werden Bewerberinnen gar nicht erst eingeladen. Aber das ist kein flächendeckendes Riesenthema. Es landen eher Einzelfälle in den Medien, die aufgebauscht werden."

Deutlich wird der AMS-Chef jedoch bei der Mindestsicherung: "Ich bin für ein bundeseinheitliches Mindestsicherungssystem. Es gibt keinen Grund, warum das in jedem Bundesland unterschiedlich geregelt ist und die Bezüge unterschiedlich hoch sind. Jetzt kommt sicher dieses berühmte Beispiel mit den Tausenden Euro Sozialhilfe für die kinderreiche syrische Familie aus Wien."

Im Video: "Unglaubliche Tricks" – AMS-Berater packt jetzt aus

"Das ist natürlich ein Problem"

Und weiter: "Unser Sozialhilfesystem richtet sich nach den Bedarfsgemeinschaften. Und wenn mehr Personen unterstützt werden, dann kommt man bei einer größeren Anzahl von Kindern zu einer Höhe, die eine nicht besonders hochqualifizierte Person gar nicht verdienen kann. Wenn ich arbeiten gehe, ist es irrelevant, wie viele Kinder ich habe – ich bekomme immer das gleiche Gehalt. Das ist natürlich ein Problem. Jetzt kommt mein Aber: Wenn Sie Kinderarmut bekämpfen möchten, dann müssen Sie bei so kinderreichen Familien jedenfalls mehr Geld geben, als die Eltern – wenn sie niedrig qualifiziert sind – verdienen können."

Kinderarmut sei etwas Schreckliches, so Kopf, denn: "Das hindert Kinder daran, sich zu entwickeln; sie äußern keine Wünsche mehr, sie haben keine Interessen, weil einfach kein Geld dafür da ist. Bin ich dennoch der Meinung, dass es in manchen Fällen zu viel ist? Ja, bin ich." Und auch bei der Integration ukrainischer Geflüchteter ortet Kopf Fehler.

"In Oberösterreich ist die Beschäftigungsquote von Ukrainerinnen heute mit Abstand am höchsten. Wien hat jetzt erst nachgezogen. Wir haben auch hier Fehler gemacht. Viele Ukrainerinnen und Ukrainer waren jahrelang der Meinung, dass sie in drei Monaten wieder nach Hause fahren können, und wollten vielleicht deshalb keine Lehre anfangen oder eine andere Ausbildung starten", sagt der AMS-Chef im "profil".

Erzähle uns deine Story!

Wurde dir eine Beihilfe gestrichen? Hast du eine AMS-Story zu erzählen? Kannst du dir das Leben kaum mehr leisten? Ist dir gerade etwas besonders Trauriges, Witziges oder Erstaunliches geschehen? Bewegt dich ein anderes Thema? Bist du der Meinung, dass deine Geschichte erzählt werden sollte? Dann melde dich bei uns unter [email protected]. Denn deine Story ist uns wichtig!Mail an uns

"Integration passiert über die Mütter"

Ein besonderes Anliegen ist ihm die Rolle der Mütter: "Wir sind heute der Meinung, die Integration passiert über die Mütter. Und tatsächlich haben Mütter über den Kindergarten oder die Schule auch Kontakt zur Gesellschaft. Da kann sich eine Frau gar nicht so zurückziehen, wie es vielleicht in manchen Familien der Mann gern hätte. Integration funktioniert bei uns am besten, wenn jemand da ist und sich um die Personen kümmert und zum Beispiel beim Arbeitgeber ein gutes Wort einlegt. Deswegen wäre es so wichtig gewesen, hätten wir diese Familien auf alle Gemeinden aufgeteilt", so der Wiener zum Nachrichtenmagazin.

In Wien ortet Kopf jedenfalls ein massives Problem bei der Integration: "Diese Berichte von Lehrerinnen, die sagen, in meiner Klasse gibt es nur noch zwei Kinder, die als Muttersprache Deutsch haben, müssen wir sehr ernst nehmen." Man verbaue diesen Kindern sonst die Zukunft.

{title && {title} } wil, {title && {title} } Akt. 01.09.2025, 09:18, 01.09.2025, 09:14
Jetzt E-Paper lesen