Vertrauen in AirTags & Co.

Toxisch? Wieso "Tracking" zur ungesunden Routine wird

Während Eltern ihre Kinder mit diversen Apps tracken, schauen sich Paare diese Gewohnheit nun auch ab. Das sagen Experten zu dieser Entwicklung.
Artiola  Zhabota
30.08.2025, 23:00
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Die Digitalisierung macht mit jedem Jahr immens große Schritte und schafft auch Möglichkeiten, sie in vielen Lebenslagen erfolgreich zu nutzen. Doch ihre Kraft wird immer mehr missbraucht: Während Schüler und Studenten ihre Hausarbeiten mittlerweile von KI-Tools schreiben lassen, orten Eltern mithilfe von AirTags ihre Kinder. Dieser Trend macht sich auch in Beziehungen sichtbar, denn viele Partner teilen ihren Live-Standort mit ihrer besseren Hälfte. Wann wird es ungesund?

Kontrolle & Misstrauen

"Beziehungen sind höchst individuell und jedes Paar definiert seine eigenen Regeln. Wichtig dabei ist, dass diese Regeln für alle Beteiligten wirklich stimmig sind. Auch beim Thema 'Tracking' ist daher wichtig zu hinterfragen: Wird das von einem der Partner als unangenehm oder sogar als Druck erlebt?", erklärt Tanja Pitzer, Beziehungscoach und Paarberaterin.

„Ist es Angst um die Person, oder Misstrauen …?“

Während im Netz viele das "Tracken" als ein Zeichen von Misstrauen wahrnehmen, lässt sich das laut Pitzer nicht pauschal beantworten: "Ist es die Angst, dass etwas Schlimmes passieren könnte und deshalb im Notfall den geliebten Menschen orten können möchte oder ist es, weil man der Partnerperson nicht vertraut und so sicherstellt, dass man die Kontrolle hat?", sagt die Paarberaterin.

Warnsignale

Laut Pitzer wird das Standort-Tracking ungesund, wenn es nicht mehr auf Freiwilligkeit basiert: "Wenn permanente Kontrolle, Misstrauen oder Einschränkung der persönlichen Freiheit im Vordergrund stehen, wird das Muster toxisch – auch große Ängste oder Abhängigkeiten sind Hinweise dafür."

Tanja Pitzer, Beziehungscoach und Paarberaterin, besitzt in Korneuburg und Wien Praxen.
© Birgit Weiss Photography

Wichtig ist daher Sicherheit und Vertrauen auf einer anderen Art zu schaffen: "Dies entsteht nicht durch Kontrolle, sondern durch gelebte Verlässlichkeit und offene Kommunikation. Erst wenn man ehrlich über die eigenen Bedürfnisse und Unsicherheiten spricht, kann man gemeinsam nach Lösungen suchen und ein tieferes Verständnis füreinander entwickeln. Das schafft wiederum Verbindung", erläutert der Beziehungscoach.

AirTags im Rucksack & Schuh!

Immer mehr Eltern entscheiden sich dazu, kleine AirTags in die Schuhsohlen oder im Rucksack zu verstauen. Viele meinen, damit nur den Schulranzen orten zu wollen, falls dieser verloren gehen sollte, andere möchten ihre Kinder damit tracken, falls sie sich verlaufen oder verschwinden.

"Heimlich sein Kind zu tracken, ist sicherlich kritischer zu sehen und nur in gut begründeten Ausnahmefällen zu rechtfertigen – auch wenn das Bedürfnis zu wissen, wo sich sein Kind gerade aufhält, für die meisten Eltern nachvollziehbar ist und Ausdruck begründeter Sorge sein kann", teilt uns Harald Werneck, klinischer Psychologe, mit. Der Gesundheitspsychologe unterrichtet an der Universität Wien und befasst sich mit den Schwerpunkten Entwicklungs- und Familienpsychologie.

"Wenn das Kind bemerkt, dass es ohne sein Wissen von den Eltern getrackt wird, kann dies das Vertrauensverhältnis zwischen Kind und Eltern sicherlich massiv beeinträchtigen. Dann braucht es schon eine gute, für das Kind auch, nachvollziehbare Erklärung seitens der Eltern, um den Schaden zu begrenzen", warnt Werneck. "Je älter die Kinder sind, desto eher wird dann nicht zuvor vereinbartes Tracking durch die Eltern, das vielleicht zufällig entdeckt wird, als ungerechtfertigter Kontrollversuch und Ausdruck des Misstrauens empfunden, meint der Psychologe.

Sicherheit oder Kontrolle?

"Eine gute Vertrauensbasis, oder wie es die Psychologie nennt, eine sichere Bindung zwischen Eltern und Kind ist eine gute Voraussetzung, um mit dem Kind gemeinsam zu besprechen, wie es mit Situationen umgehen kann, die Eltern für potenziell bedrohlich oder gefährlich halten", erläutert Werneck. Der Gesundheitspsychologe betont, dass es wichtig für die kindliche Entwicklung ist, sie selbst Entscheidungen treffen zu lassen und auch Eigenverantwortung zu übernehmen. "Für Eltern ist es oft eine schwierige, aber wichtige Lernerfahrung, die eigenen Kinder aus der ständigen Obhut schrittweise in die Selbständigkeit zu entlassen, ihnen Freiräume zu gewähren und sie nicht ständig zu kontrollieren, selbst wenn es in guter Absicht ist", erklärt er.

„Gut gemeint ist oft das Gegenteil von gut!“

"Aber gut gemeint ist oft das Gegenteil von gut. Perfekte Sicherheit zu gewährleisten, wäre sowieso eine Illusion und übermäßige Kontrolle hindert Kinder letztlich daran, Strategien und Kompetenzen zu erlernen, selbst effizient auf die eigene Sicherheit zu achten", erzählt uns der Psychologe im Interview.

Offene Kommunikation ist das A & O

"Eine ehrliche Kommunikationskultur in der Familie bildet schon einmal eine wichtige Basis des Vertrauens zwischen Eltern und Kind. Kinder flügge werden zu lassen, kostet die Eltern oft auch Nerven, ist aber für alle Beteiligten ein wichtiger Entwicklungsschritt, für dessen Bewältigung die Verlockung digitaler Überwachung oft mehr ein Hindernis als eine Hilfe darstellt", fügt er schließlich noch hinzu.

{title && {title} } AZ, {title && {title} } 30.08.2025, 23:00
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